Politik

Überfällig: 10 Euro Mindestlohn überall!

22.01.09 - Heute verabschiedete der Bundestag zwei Gesetzentwürfe, mit denen in weiteren Branchen gesetzliche Mindestlöhne eingeführt werden. Das betrifft unter anderem die Pflegedienste, Gebäudereiniger, Bauarbeiter, Abfallentsorger und Bergbauspezialdienste. Wie viel da mindestens verdient werden soll, muss jeweils von den Tarifparteien ausgehandelt werden – es gibt nach wie vor keinen einheitlichen Mindestlohn in Deutschland. Auf jeden Fall wird es zu wenig sein: alle bisherigen Vereinbarungen liegen weit unter 10 Euro. Und den 700.000 Zeitarbeitern in Deutschland wird immer noch ein Mindestlohn verweigert!

Deutschland gehört somit in der EU zu einer kleinen Minderheit von Ländern, die keinen gesetzlichen Mindestlohn haben. In 20 von 27 EU-Ländern, darunter z.B. Frankreich, Belgien, Niederlande und Großbritannien, ist dies längst Standard.

In einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wird aufgeschlüsselt, welche Folgen die zunehmende Arbeit zu Niedrigstlöhnen hat: Der Anteil der "working poor", d.h. der Beschäftigten, die trotz Vollzeitarbeit nicht von ihrem Lohn leben können, steigt. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens erhält, das waren im Jahr 2006 837 Euro netto für einen Alleinstehenden, 1.758 Euro für eine Familie mit zwei Kindern.

Zwischen 1999 und 2005 stieg der Anteil der Vollerwerbstätigen, die arm sind, von 3 auf 6 Prozent an. 22 Prozent der Beschäftigten arbeiten nach Angaben des IAB im so genannten "Niedriglohnsektor" (2006), d.h. sie verdienen weniger als zwei Drittel des mittleren Bruttolohns. Alleinerziehende - das sind überwiegend Frauen - haben dabei eine höhere "Armutsgefährung". Das Institut geht zurecht davon aus, es sei "zu befürchten, dass der Abschwung in Folge der Finanzkrise auch wieder zu mehr Armut unter Erwerbstätigen (und Nichterwerbstätigen) führen wird".

Allerdings gibt es dabei riesige Unterschiede. Denn gleichzeitig hat auch der Reichtum einer kleinen Minderheit gewaltig zugenommen: Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung besitzen inzwischen 61,1 Prozent des gesamten Vermögens in Deutschland - und die "unteren" 70 Prozent, d.h. die Mehrheit der Bevölkerung, halten weniger als 9 Prozent des Gesamtvermögens (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung – DIW).

Davon können z.B. die Kumpel der Bergbauspezialfirma Induberg im Ruhrgebiet ein Lied singen: Sie verdienen in der Regel sowieso 20 Prozent weniger als ihre Kollegen bei der RAG und stehen seit Monaten in der Auseinandersetzung um pünktliche Lohnauszahlung. So erhielten sie ihren November-Lohn erst Ende Dezember, und zwar nur 90 Prozent davon. Und am 15. Januar war der Dezember-Lohn mal wieder nicht auf dem Konto - Induberg will dafür eine Bürgschaft beim Land NRW beantragen.

Ein Mindestlohn wäre ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Armut, gegen die allgemeine Lohndrückerei und die Schaffung eines breiten Niedriglohnsektors. Er muss allerdings angemessen sein! So verpflichtet die Europäische Sozialcharta, der auch die BRD beigetreten ist, in Artikel 4 alle Vertragsstaaten, "das Recht der Arbeitnehmer auf ein Arbeitsentgelt anzuerkennen, welches ausreicht, um ihnen und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard zu sichern". Das wären derzeit mindestens 10 Euro brutto in der Stunde. Eine solche Forderung wird allerdings nur in einem konsequenten, offensiv geführten Kampf durchzusetzen sein.