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Vor dem Verfassungsreferendum in Venezuela: zweierlei Maß beim "Demokratieverständnis"

Vor dem Verfassungsreferendum in Venezuela: zweierlei Maß beim "Demokratieverständnis"
Kundgebung für die Verfassungsreform in Venezuela

13.02.09 - "Hugo Chávez will für immer regieren", so der Grundtenor der bürgerlichen Presse zum Verfassungsreferendum in Venezuela am kommenden Sonntag. Venezuelas Präsident wird von interessierter Seite systematisch in den Geruch eines undemokratischen Diktators gebracht.

Das Verfassungsreferendum sieht die Änderung von fünf Artikeln zum passiven Wahlrecht vor - künftig sollen alle Amtsinhaber, also Abgeordnete, Bürgermeister, Gouverneure und auch der Präsident, wiederholt zu Wahlen kandidieren dürfen. Nach geltender Verfassung ist bisher nur eine einmalige Wiederwahl möglich. Die da so laut schreien, "übersehen" offensichtlich, dass z.B. in mindestens 17 von 27 EU-Staaten, unter anderem in Deutschland, Mandatsträger unbegrenzt oft kandidieren können - es sind schließlich die Wähler, die über eine weitere Amtszeit entscheiden.

Die derzeitige Verfassung Venezuelas wurde 1999 unter Einbeziehung von Vorschlägen aus Bürgerversammlungen erarbeitet. Sie enthält weitgehende bürgerlich-demokratische Rechte, unter anderem die Verbindlichkeit von in Bürgerversammlungen getroffenen Entscheidungen für den Staat, die Beteiligung der Betroffenen an der Ausformulierung von Gesetzen, Volksbefragungen zu allen Fragen von nationaler Bedeutung einschließlich Verfassungsänderungen, zur Außenpolitik, zur möglichen Abwahl der Volksvertreter nach der halben Amtszeit, zur Abschaffung oder Veränderung von Gesetzen; außerdem besteht ein Rechtsanspruch auf Selbstorganisation usw. (ausführlich in wikipedia). Und: die Verfassung verbietet die Privatisierung der Erdölindustrie und der sozialen Sicherungssysteme, sichert die kostenlose Volksbildung, Gesundheitsversorgung usw.

Es sind solche Reformen und die antiimperialistische Politik, die Hugo Chávez eine große Zustimmung unter den Massen Venezuelas eingebracht haben, auf die anderen Länder Lateinamerikas ausstrahlen und auf Zustimmung stoßen. Diese Politik in Venezuela steht in Verbindung damit, dass es auf dem ganzen Kontinent eine breite Auseinandersetzung über den Sozialismus als Perspektive gibt.

Damit werden allerdings auch mächtige Gegner auf den Plan gerufen: Anfang Januar wurde bekannt, dass die reaktionäre Opposition in Venezuela ihre Kampagne gegen das Referendum politisch und finanziell mit den USA abgestimmt hat. Exil-Venezolaner in Miami rühren die Propaganda-Trommeln, die katholische Kirche in Venezuela stellt sich gegen Chávez, selbst Lech Walesa aus Polen, Kultfigur des Antikommunismus, wollte ins Land einreisen, um seine demagogische "Begabung" in den Dienst der Reaktion zu stellen. Zurecht wurde er abgewiesen.

Walter Suter, der von 2003 bis 2007 Botschafter der Schweiz in der venezolanischen Hauptstadt Caracas war, bewertete in einem Interview mit einer Schweizer Wochenzeitung die Auseinandersetzung in und um Venezuela folgendermaßen: "Die Entwicklung in Venezuela hat den Benachteiligten in den anderen lateinamerikanischen Staaten gezeigt, dass man den bisher dominierenden Kräften im Landesinnern und im Ausland nicht schicksalshaft ausgeliefert ist, sondern tatsächlich Widerstand leisten kann. (...) Da entwickelt sich etwas auf dem Kontinent, eine Stärkung, eine Solidarität, die wächst und die vor allem von Venezuela initiiert worden ist. Damit hat der ganze Prozess Wirkungen über die Landesgrenzen hinaus." (www.zeit-fragen.ch, 2.2.09)