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Kriegserklärung an Daimler-Belegschaften stößt auf Widerstand
02.04.09 - Gestern fanden "außerordentliche Betriebsversammlungen" in zahlreichen Daimler-Werken statt. Ihre Regie war geprägt von der Angst vor den kampferprobten Belegschaften. An mehreren Standorten war es überhaupt nicht vorgesehen, dass diese selbst zu Wort kommen. Doch die Kollegen verschafften sich auf andere Weise Gehör. So berichtet ein Korrespondent von der Versammlung in Sindelfingen, dem größten Montagewerk des Konzerns: "Rainer Schmückle vom Vorstand, bei der Belegschaft als 'Super-Rationalisierer' bekannt und unbeliebt, musste erst mal ein Pfeifkonzert über sich ergehen lassen, bevor er seine Rede beginnen konnte. Einige Kollegen und Vertrauensleute, die mit dem Redeverbot nicht einverstanden waren, stellten sich mit selbst gemalten Schildern vor die Bühne. 'Wir zahlen eure Krise nicht', '30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich' und 'Unbefristete Übernahme aller Azubis' war darauf zu lesen. Dafür gab es viel Sympathie. Auch die Auszubildenden, die mit Tafeln zur vollen Übernahme aller Azubis auftraten, bekamen anhaltenden Beifall."
Der Kern der 20-minütigen Rede von Daimler-Chef Dieter Zetsche in Untertürkheim war nichts anderes als eine Kriegserklärung des Vorstands an die Belegschaft. Über seine Aufforderung, "wir müssten vielmehr alle nochmals einen substanziellen Beitrag bringen", empörten sich später Kollegen z.B. in Radiointerviews des SWR: "Selbst wenn ein Herr Zetsche großzügig auf 50 Prozent verzichtet, dann streicht er eben fünf statt zehn Millionen im Jahr ein. Ich habe eine Familie zu ernähren und kann auf nichts verzichten."
Was Zetsche der Belegschaft tatsächlich zumuten will, schildert ein Korrespondent aus Untertürkheim: "Er forderte, die Tariferhöhung im Mai zu verschieben, die Zuzahlung zum Kurzarbeitergeld zu kürzen sowie fünf Stunden Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich bei allen, die bisher nicht in Kurzarbeit sind. Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld sollen in Frage gestellt werden. Die bereits zugesagten 1.900 Euro 'Erfolgsbeteiligung' sollen nicht Ende April ausgezahlt, sondern auf Eis gelegt werden. Wenn wir das nicht machen, könnten wir nicht in dringend gebrauchte 'grüne Zukunftstechnologien' investieren. Und für den Fall, dass wir das nicht tun würden, drohte er - allerdings aus Angst eher vorsichtig - mit Entlassungen."
Damit soll den Arbeitern, aus denen über Generationen Jahr für Jahr die Milliardenwerte gepresst wurden, auch noch die Schuld dafür in die Schuhe geschoben werden, dass umweltschonende spritsparende Fahrzeuge allenfalls als maßlos überteuerte Nischenprodukte auf den Markt gebracht wurden. Zugleich will Zetsche damit die Belegschaften für den verschärften Konkurrenzkampf in der Weltwirtschaftskrise einspannen. Besondere Empörung rief auch die Ankündigung des Vorstands hervor, bundesweit die Ausbildungsplätze von 1.600 auf 1.000 zusammen zu streichen.
Von der Betriebsversammlung in Wörth wird berichtet: "Sollte
die Belegschaft dem nicht zustimmen, würden alle Mitarbeiter, die
nach dem 31.8.2004 eingestellt wurden und somit nicht dem
Beschäftigungssicherungsvertrag unterliegen, gekündigt. In Wörth
betrifft das über 2.000 vor allem junge Kolleginnen und Kollegen.
Aber auch sonst könnten betriebsbedingte Kündigungen nicht
ausgeschlossen werden. Die
Stimmung auf der Betriebsversammlung war geprägt von
Nachdenklichkeit, Existenzängsten, aber immer deutlicher auch von
Kampfbereitschaft und Wut. Viele Kollegen sind nicht mehr bereit zu
verzichten. Kritisiert
werden muss aber auch der Gesamtbetriebsrat, der seit Wochen
Geheimverhandlungen führt. Alle Betriebsräte mussten
Geheimhaltungsverträge unterzeichnen, dass nichts an die Belegschaft
dringt."
Ein Korrespondent aus Stuttgart schreibt: "Beim Einsatz der MLPD vor den Toren bei der Mittagsschicht stößt die Losung 'Banken und Konzerne sollen die Krisenlasten selbst bezahlen' auf breite Zustimmung: 'Ja, weil das nämlich überall so läuft'. Demzufolge gibt es auch kaum Verständnis für den Herrn Dr. Zetsche. Ein Teil der Kollegen ist sehr empört, fragt sich aber, ob und was man machen kann. Der klaren Aussage 'Kämpfen statt verzichten' stimmt ein Viertel der befragten Kollegen direkt zu."
Der diktatorische Stil verschiedener Betriebsversammlungen wird eine Massendebatte darüber unter den Belegschaften nicht verhindern können. Dabei werden die Betriebsgruppen der MLPD das Ihre tun, um die Zusammenarbeit aller kämpferischen Kräfte weiterzuentwickeln. Es war schließlich die Losung der Daimler-Kollegen "Mit Erpressern verhandeln wir nicht", die 2004 den Auftakt konzernweiter Kämpfe bildete und die bundesweiten Montagsdemonstrationen mit anregte. Daimler-Arbeiter eröffneten mit selbständigen Streiks die bundesweite Welle des erfolgreichen Kampfs für die Lohnfortzahlung, die übrigens auch der Anfang vom Ende der Regierung Kohl war.