International
Ungarn: Generalstreik im Verkehrs- und Transportwesen gegen Abwälzung der Krisenlasten
09.05.09 - Gestern fand in Ungarn ein Generalstreik statt, zu dem hauptsächlich die Gewerkschaften des Verkehrs- und Transportwesens und der Gewerkschaftsbund LIGA aufgerufen hatten. Es gab in den letzten Monaten in Ungarn zunehmend härtere Kämpfe gegen die Abwälzung der Krisenlasten, die unter anderem im März 2009 zum Sturz der Regierung unter Ferenc Gyurcsány geführt haben. Wie auch in den anderen osteuropäischen Beitrittsländern der EU wurden den Menschen in Ungarn große Hoffnungen auf eine Verbesserung ihrer Lage gemacht, die nun bitter enttäuscht werden.
Nach dem Rücktritt von Gyurcsány bildete die regierende Sozialistische Partei (vergleichbar der SPD in Deutschland) eine Minderheitsregierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Gordon Bajnai. Eine ihrer ersten Amtshandlungen war die Verabschiedung eines noch umfassenderen Krisenprogramms. Ein aus Ungarn stammender Korrespondent berichtet uns dazu:
"Der ungarische Staat erhielt vom IWF, Weltbank und EU im Herbst letzten Jahres 20 Milliarden Euro Soforthilfe, um einen Staatsbankrott zu verhindern. Das geschah jedoch mit verschiedenen Auflagen unter anderem zur massiven Kürzung der Staatsausgaben. Jetzt will die Regierung z.B. zwei Jahre lang die Löhne der Staatsbediensteten einfrieren. Geplant sind Steuererhöhungen verschiedener Art wie fünf Prozent Mehrwertsteuererhöhung auf einen Schlag, sogar das Kindergeld soll versteuert werden. Für die Rentner will die Regierung die Rentenerhöhung verschieben und das Renteneintrittsalter stufenweise von 62 auf 65 Jahre herauf setzen. Das Krankengeld soll von 70 auf 60 Prozent gekürzt werden. Für breite Teile der Bevölkerung bedeutet das bis zu 30 Prozent Einkommenseinbußen - und das bei hoher Inflation und wachsender Arbeitslosigkeit. Es gab schon am 8. April große Proteste dagegen.
An der Spitze der Proteste stehen die Eisenbahner, die sich zu 80 Prozent am Generalstreik beteiligt haben. Der Plan, die Zuschüsse für die staatliche Eisenbahn drastisch zu kürzen, würde dazu führen, dass die Hälfte der Eisenbahner arbeitslos wird und gleichzeitig auch die Hälfte der Züge ausfiele. Das wiederum hätte drastische Folgen für rund 200.000 Arbeiter und Angestellte, die dann nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren könnten. Gestreikt haben gestern auch Busfahrer, Lehrer an den Schulen und Beschäftigte der Krankenhäuser. In verschiedenen Industriebetrieben gab es Solidaritätsstreiks.
Dabei entfaltet sich die Auseinandersetzung über den weiteren Weg des Kampfs. Der zweite große Gewerkschaftsdachverband SZEF, der unter revisionistischer Führung steht, hat eine Beteiligung abgelehnt, weil er der Regierung 'nicht in den Rücken fallen' will. Leider hat auch die Führung des Gewerkschaftsbunds LIGA den gestrigen Streik vorzeitig für beendet erklärt, möglicherweise aus Rücksicht auf geplante Verhandlungen mit der Regierung. Berichte, der Streik sei wegen mangelnder Beteiligung abgebrochen worden, wurde von LIGA-Sprechern zurückgewiesen. Vielmehr wurden weitere Streiks und Proteste angekündigt.
Das größte Problem in Ungarn ist, dass es bisher keine marxistisch-leninistische Partei gibt, höchstens einzelne Kräfte, die sich am Marxismus-Leninismus orientieren. So herrscht immer noch ziemliche Verwirrung über die Ursachen der bürokratischen Entartung des früheren Sozialismus und die notwendigen Schlussfolgerungen. Die Herrschenden versuchen das auszunützen, indem sie den ungarischen Nationalismus und Widersprüche zu nationalen Minderheiten schüren. Manche fallen noch darauf herein, bei vielen Arbeitern stößt das aber auch auf Ablehnung."