Betrieb und Gewerkschaft
Selbständige Aktion von 700 Daimler-Arbeitern in Sindelfingen
10.07.09 - Gestern berichtete "rf-news" über die kämpferische Aktion von Opel-Kollegen in Bochum (siehe Bericht) und versprach, über die weitere Entwicklung zu informieren. Medienberichte über die Aktion, unter anderem in der "Aktuellen Stunde" des WDR und in der "WAZ" - wobei die "WAZ" die "besonders kompromisslose" MLPD hervorhob -, schlugen mittlerweile hohe Wellen und forderten ruhrgebietsweit zu Diskussionen in den Betrieben heraus. Dass die Auseinandersetzung bei Opel auch bundesweit Schule macht, zeigt die folgende Korrespondenz aus Sindelfingen über eine selbständige Aktion von 700 Daimler-Kollegen, die gestern statt fand:
"Seit Wochen brodelt es besonders bei der Montage der E-Klasse im Bau 36 bei Daimler in Sindelfingen. Mit dem Anlauf der neuen E-Klasse wurde massiv rationalisiert, die Bänder wurden schneller gestellt und Stellen eingespart. Es herrscht chronischer Personalmangel in fast allen Abteilungen. Laut Berechnungen des Betriebsrats fehlen in der Halle mindestens 300 Leute, um überhaupt einigermaßen normal arbeiten zu können, 500 währen notwendig, um auch notwendige Qualifizierungen, Freischichten etc. zu organisieren.
Schon seit Wochen marschieren immer wieder einzelne Gruppen oder Abteilungen zum Betriebsrat, aber heute stand die ganze Halle!
Eigentlich wollten nur ein oder zwei Abteilungen heute früh um 8 Uhr die Bänder verlassen, um sich beim Betriebsrat zu informieren. Die Wut von vielen Kollegen war aber so groß, dass sich die geplante Aktion wie ein Lauffeuer herumsprach und so die gesamte Halle kam. Auch Kollegen aus dem Bau 38, der C-Klasse-Montage, wo ähnliche Zustände herrschen, kamen mit.
Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Ergun Lümali begrüßte die rund 700 Kollegen und unterstütze sie in ihrem Anliegen. Er versprach, einen Verantwortlichen der Werkleitung oder Centerleitung zu holen, der Stellung zu den Problemen nehmen sollte. Da die Herren aber auf sich warten ließen (was sie sonst bei solchen Aktionen selten tun), ergriffen mehrere Kollegen das Wort. Das hatte es zuvor so nicht gegeben.
Sie berichteten von den Problemen in ihren Abteilungen, welch menschenunwürdige Zustände dort teilweise herrschen. Es bekommt niemand Urlaub, Rotation ist so gut wie nicht möglich, alle klagen über die Hetze, man hat keine Zeit, mal schnell aufs Klo zu gehen usw. Teilweise müssen sogar die Meister wegen Personalmangel ständig am Band mitarbeiten.
Nachdem sich immer noch kein Zuständiger der Werkleitung blicken ließ, wurden Sprechchöre 'Wir bleiben hier' laut. Ein Kollege sagte am Megaphon: 'Wir bleiben hier, bis einer von den Chefs kommt, und singen einfach gemeinsam ein paar Lieder.' Die Stimmung war sehr kämpferisch, es gab ständig viele Zwischenrufe aus allen Ecken. Man spürte sehr deutlich die Wut der Kollegen, die sich seit Wochen aufgestaut hatte.
Ein Vertrauensmann warf am Megaphon auch die Frage des kürzlich abgeschlossenen Krisenprogramms auf. Seit Mai arbeiten wir in der E-Klasse in der 32-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich, bekommen ca. 8,5 Prozent weniger Lohn. Faktisch arbeiten wir aber 40 Stunden pro Woche, um die Minus-Konten, die sich durch Kurzarbeit und Absageschichten aufgestaut hatten, wieder auszugleichen. Sein Resümee 'Wir wollen unser Geld wieder!' endete im tosendem Applaus. Auch wenn der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende das mit der Begründung, dies sei 'heute nicht das Thema', abzuwiegeln versuchte, wurde klar: Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen!
Später fand sich auch noch der Betriebsratsvorsitzende Erich Klemm ein. Er unterstütze zwar die Kollegen in ihrem Anliegen, mahnte aber, jetzt keine Wunder zu erwarten. Endlich traf dann auch der Centerleiter Dr. Willi ein. Erst wollte er nicht so recht auf das provisorische Rednerpult steigen. Als aber die Buh-Rufe immer lauter wurden, kam er doch - wenn auch kreidebleich - aufs Podium. Er meinte, er verstehe die Situation, und stellte Maßnahmen vor, wie z.B. Leute aus anderen Bereichen, wo anscheinend Personalüberhang besteht, in die E-Klasse zu versetzen. Hier gab es einige Zwischenrufe, die forderten, dass neue Leute eingestellt werden müssen.
Die Versammlung endete mit einer klaren Botschaft: Wenn bis nächste Woche nichts passiert, sehen wir uns alle am gleichen Ort wieder!"