Wirtschaft
IAQ-Studie belegt: Drastische Ausweitung des Niedriglohnsektors
12.07.09 - Nach einer aktuell veröffentlichten Studie des "Institut Arbeit und Qualifikation" der Universität Duisburg Essen (IAQ-Report 2009-05) lag im Jahr 2007 der Anteil von Niedriglöhnen unter allen abhängig Beschäftigten in Deutschland bei 21,5 Prozent. Bereits vor Ausbruch der Weltwirtschafts- und Finanzkrise also arbeiteten rund 6,5 Millionen Menschen für einen Stundenlohn unterhalb der von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für Westdeutschland definierten Niedriglohnschwelle von 9,62 Euro. In Ostdeutschland liegt diese Grenze offiziell bei 7,18 Euro.
Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf vom IAQ beobachten den Trend zu weiter sinkenden Löhnen. Laut Studie "franst das Lohnspektrum nach unten aus, Stundenlöhne von weniger als 6 Euro brutto sind längst keine Seltenheit mehr" (IAQ-Report). Jeder dritte Niedriglohnbeschäftigte verdient weniger als 6 Euro brutto, 1,2 Millionen arbeiten sogar für weniger als 5 Euro in der Stunde. So liegt z.B. der Tariflohn für Friseure in Brandenburg bei 2,75 Euro brutto in der Stunde, bei den "höchsten" Tariflöhnen im Friseurhandwerk liegt in Baden-Württemberg der Stundenlohn bei 8,40 Euro brutto.
Von 1995 bis 2007 ist der Anteil der zu Niedriglöhnen arbeitenden Menschen gemessen an der Gesamtzahl der abhängig Beschäftigten um 49% angewachsen. Gleichzeitig sind die Durchschnittslöhne im Niedriglohnsektor inflationsbereinigt gegenüber 1995 nicht gestiegen und in Westdeutschland in den letzten Jahren sogar nominal gesunken. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) spricht von einer Trendumkehr zu sinkenden Nominallöhnen.
Inzwischen wächst längst nicht mehr nur unter Teilzeit- und Minjobbern der Anteil derer, die – vor allem, wenn sie Familie haben – ohne zusätzliche Sozialleistungen nicht leben können. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von 2009 verweist darauf, dass ein großer Teil der sogenannten Aufstocker/-innen – also derjenigen, die Arbeitslosengeld II zusätzlich zu eigenem Erwerbseinkommen beziehen – nicht nur in Teilzeit, sondern auch für teilweise extrem niedrige Stundenlöhne arbeitet: Fast 30 Prozent der westdeutschen und fast 40 Prozent der ostdeutschen "Aufstocker/-innen" verdienen weniger als 5 Euro brutto pro Stunde.
Auch das Argument, dass von der Lohndrückerei in erster Linie Arbeiter und Angestellte mit geringer Qualifikation betroffen seien, wird entkräftet. Zunehmend arbeiten auch qualifiziert ausgebildete Menschen und Hochschulabsolventen für Hungerlöhne. Bereits im Jahr 2007 stellten Beschäftigte ohne abgeschlossene Berufsausbildung nur noch knapp 21 Prozent aller Niedriglohnbeschäftigten. Der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung hat sich deutlich erhöht: von 58,5 Prozent in 1995 auf 70,8 Prozent in 2007. Nimmt man die Beschäftigten mit einem akademischen Abschluss hinzu, sind mittlerweile vier von fünf Niedriglohnbeschäftigten in Deutschland formal qualifiziert.
Wenn jetzt die SPD mit Rentengarantie, Steuersenkungen und Mindestlohnversprechungen in den Wahlkampf zieht und Abbau von Löhnen und sozialen Errungenschaften ausschließlich mit Frau Merkel identifiziert, ist das reine Heuchelei. Wer hat denn mit den durch und durch volksfeindlichen Hartz-Gesetzen die Dumpinglöhne durchgesetzt? Die Zahlen des IAQ-Reports illustrieren, wie bereits vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise in den letzten 12 Jahren in Deutschland mittels einer tiefgreifenden Neustrukturierung des Arbeitsmarkts die Ausbeutungsoffensive der Monopole immens gesteigert wurde.
Jetzt und vor allem nach den Wahlen wollen Monopole und Staat noch rücksichtloser den Massen die gewaltigen Kosten für ihr Krisenmanagement aufbürden. Die MLPD fordert die sofortige Einführung von 10 Euro Mindestlohn pro Stunde und die Erhöhung des Arbeitslosengelds I und seine unbegrenzte Fortzahlung für die Dauer der Arbeitslosigkeit.
Der Kampf gegen den versuchten Tarifbruch bei Opel Bochum hat in dieser Situation bundesweite und zukunftsweisende Bedeutung. Die Kollegen fordern die Auszahlung ihres Urlaubsgeldes ein, so wie es im Tarifvertrag steht ("rf-news" berichtete). Offensichtlich soll die Weltwirtschafts- und Finanzkrise dafür herhalten, elementare tarifliche Rechte außer Kraft zu setzen und so den Weg für weitere Lohndrückerei frei zu machen. Bereits im vergangenen Jahr hat die Opel-Belegschaft wichtige Erfahrungen im Kampf gegen Spaltung und Dumpinglöhne gesammelt, als sie sich gegen die Kündigung von mutigen Leiharbeitern einsetzte, die gleichen Lohn für gleiche Arbeit gefordert hatten. Letzte Woche gab es auch eine selbständige Aktion von 700 Arbeitern bei Daimler in Sindelfingen gegen Arbeitshetze und Lohnraub. Diese Kampfbereitschaft verdient unbedingte Solidarität.