Umwelt
Leben auf einer Zeitbombe - Das Unglück von Nachterstedt
Magdeburg (Korrespondenz), 23.07.09: Der verheerende Erdrutsch von Nachterstedt in Sachsen-Anhalt lies eine Fläche von sechs Fussballfeldern in den Concordia-See rutschen. Drei Menschen verloren ihr Leben. Die Einwohner der Siedlung "Am Ring" trauern um die Toten. In ihren Häusern, die sie nun wohl aufgeben müssen, steckt die Arbeit und die Erinnerung von Jahrzehnten. Die Betroffenen des Unglücks haben unser Mitgefühl und unsere Solidarität.
Doch wirft dieses Unglück auch viele Fragen auf. Im Tagebau Nachterstedt gab es schon während der Abbauzeit gewaltige Erdrutsche, 1950 und erneut 1959. Damals brach auf einer Breite von 500 Metern die Böschung ab. Die Erdmassen schoben sich einen Kilometer in den Tagebau vor. Die Arbeiter rannten vor dieser gewaltigen Lawine um ihr Leben, ein Bergmann starb. Der Vorfall wurde damals untersucht und es wurde festgestellt, dass die Auswertung der Wasserpegelstände nicht sorgfältig genug war. Für alle Tagebaue der DDR wurden damals Konsequenzen gezogen, geotechnische Abteilungen eingerichtet, Fachleute für Bodenmechanik, Geologie und Hydrologie eingesetzt.
Die alte Bergmannssiedlung wurde in den 1930er Jahren auf aufgeschüttetem Gelände gebaut. Die Böschung hat eine Höhe von fast 100 Metern. Nur im unteren Bereich war sie abgeflacht und verdichtet, der obere Bereich war steiler, wurde aber von den Behörden für sicher gehalten. Nach der Wiedervereinigung wurde der Betrieb des Tagebaus eingestellt. Das Tagebaurestloch wird seit Jahren langsam geflutet. Weil nicht mehr abgepumpt wurde, stieg auch der Grundwasserspiegel wieder an. Damit konnte das Wasser auch gegen die Böschung in Richtung des Sees drücken.
Es wird auch für möglich gehalten, dass sich unter der Halde noch unterirdische Hohlräume aus früherem Untertage-Abbau der Braunkohle befinden. Es wurde berichtet, dass vor dem Unglück ein Grundwasserpegel in der Siedlung um zwei Meter absackte. Das kann bedeuten, dass eine Grundwasserblase platzte. Es wird immer deutlicher, dass die Siedlung hochgradig gefährdet war, da hier viele Faktoren zusammen kamen.
Es stellt sich die Frage, warum hier nicht schon viel früher Konsequenzen gezogen wurden. Und es stellt sich auch die Frage, ob sich eine solche Katastrophe nicht an anderer Stelle wiederholen kann. Zur Zeit entstehen überall Seen in Tagebau-Restlöchern. Das Unglück muss restlos aufgeklärt werden, es müssen entsprechende Konsequenzen gezogen werden.