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Afghanistan: Freibrief für Mord und Totschlag?

30.10.09 - Am 4. September wurde in Afghanistan auf Bundeswehr-Befehl ein Blutbad angerichtet: Zwei von Taliban entführte und in einem Flussbett bei Kunduz stecken gebliebene Tanklastwagen wurden durch US-Flugzeuge bombardiert, in dem Feuer-Inferno kamen über 100 Menschen, darunter zahlreiche Zivilisten um. Gestern nun ist ein streng geheimer NATO-Bericht über diesen Vorgang in einer einzigen gedruckten Ausgabe von Kabul nach Berlin geflogen worden. Und sofort trat Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan vor die Presse: Der Bericht habe die Vorwürfe gegen den Bundeswehr-Oberst Georg Klein entkräftet, der den Schießbefehl gab. Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung e.V. (www.imi-online.de) nahm dazu gegenüber "rf-news" Stellung: "Erstens: So lange dieser Bericht geheim ist, ist es natürlich unmöglich, darin eine Entlastung zu sehen. Und zweitens war das keine unabhängige Untersuchung: Diejenigen, die das Verbrechen begangen haben, ermitteln darüber. Das ist doch keine Entlastung."

Veranlasst wurde die Untersuchung von Stanley McChrystal, dem Kommandeur der ISAF (Afghanistan-"Schutztruppe" unter dem Befehl der NATO). Er verlangt für den Krieg in Afghanistan inzwischen weitere 40.000 Soldaten zusätzlich zu den 90.000 bisher eingesetzten (plus 70.000 bezahlten Söldnern!) und warnte: "Wenn es nicht gelingt, die Initiative zu gewinnen und den Schwung des Aufstands umzukehren, und zwar innerhalb von zwölf Monaten – riskieren wir, dass es nicht mehr möglich sein wird, den Aufstand zu besiegen." ("Washington Post", 21.9.09) So einem Statthalter der Imperialisten kann tatsächlich nicht daran gelegen sein, Kriegsverbrechen der Bundeswehr, des wichtigsten Verbündeten der US-Truppen, aufzuklären, im Gegenteil: Vertuschung und Verharmlosung ist das Gebot für die imperialistischen Krieger!

Das Massaker im Kunduz hatte weltweit für Empörung gesorgt, zumal sich herausstellte, dass es bewusst herbeigeführt wurde: Die Besatzung der US-amerikanischen F-15-Jagdbomber hatte nach Informationen des "Spiegel" Oberst Klein und seinen Fliegerleitoffizier in Kunduz gefragt, ob sie nicht erst im Tiefflug über die Tanklastwagen donnern sollten, um den Leuten dort die Gelegenheit zur Flucht zu geben. Das war von Klein aber abgelehnt worden. Er bestätigte auch mehrfach wahrheitswidrig ihre Frage, ob es dort eine akute Bedrohung gebe und die Bundeswehr Feindberührung habe. Und so warfen die Bomber ihre tödliche Fracht ab.

General Schneiderhan rechtfertigte jetzt den Einsatz mit der zunehmend instabilen Lage in Kunduz: Dort habe es von Ende April bis Anfang September 87 "sicherheitsrelevante Zwischenfälle", Anschläge und auch Feuergefechte gegeben. Vor diesem Hintergrund sei es erforderlich, "das Spektrum der Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit auszuweiten", und: "Daraus folgt zwangsläufig, dass sich militärische Lagen ergeben können, die den Einsatz von tödlich wirkenden Waffen unumgänglich machen." (www.bundeswehr.de, 29.10.09)

Tatsächlich wird der Widerstand in dem besetzten Land immer stärker. Also grünes Licht für eine verschärfte Kriegführung der Bundeswehr? Der jetzt verabschiedete ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung, der nach dem Massaker lange Zeit behauptet hatte, es seien "ausschließlich terroristische Taliban getötet worden", setzte bei der Amtsübergabe an seinen Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg gestern noch einen drauf: Soldaten, die im Auftrag Deutschlands im Ausland tätig seien, dürften nicht mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen konfrontiert werden (spiegel-online, 29.10.). Ist das etwas anderes als ein Freibrief für Mord und Totschlag?

Dass gestern nicht der neue Verteidigungsminister zu Guttenberg zu dem Massenmord in Kunduz Stellung nahm, sondern dies seinem Generalinspekteur Schneiderhan überließ, spricht Bände: Zu Guttenberg wurde als angeblich "beliebtester Minister" der alten Regierung auf den Posten des Verteidigungsministers geschoben, um das Ansehen der Bundeswehr aufzuwerten und die Bevölkerung, vor allem die Jugend, für zunehmende Auslandeinsätze zu gewinnen. Eine Rechtfertigung des Kunduz-Massakers hätte das strahlende Bild des Barons zu früh befleckt.

Denn die Bundesregierung steht in Bezug auf ihre Afghanistan-Politik mit dem Rücken zur Wand: 69 Prozent der Bevölkerung sind gegen diesen Kriegseinsatz und weltweit wächst derzeit wieder der Protest dagegen. Erst am 26. demonstrierten in London 10.000 Kriegsgegner. Die Bundeswehr und alle fremden Truppen müssen raus aus Afghanistan!

Die neue "Rote Fahne" befasst sich in einem ausführlichen Titelthema mit dem Afghanistan-Krieg.