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"Hut ab!" - Streik der Gebäudereiniger setzte mutiges Signal auch für andere Belegschaften
03.11.09 - Gestern ist bei den Gebäudereinigern die Urabstimmung über das Verhandlungsergebnis nach ihrem Streik angelaufen. In Westdeutschland würden sie danach 4,9 und im Osten 6,3 Prozent mehr erhalten, das ganze in zwei Stufen und mit einer Laufzeit von 27 Monaten. Die Mindestlöhne liegen dann im Westen bei 8,55 Euro und im Osten bei 7 Euro. Bis 2010 sollen die bisher gültigen Tariflöhne weiter bezahlt werden. Weiter wurde eine betriebliche Altersvorsorge vereinbart. Die Unternehmer hatten ursprünglich nur 3 Prozent angeboten. Zehn Tage lang hatten fast 10.000 Kolleginnen und Kollegen gestreikt – der "Aufstand der Unsichtbaren", wie er von der IG BAU genannt wurde. Es war der erste Streik in der Branche überhaupt.
Dieser Streik war ein Signal gegen die Ausbeutungsoffensive der Unternehmer, die die Krise nutzen wollen, um noch mehr die Löhne zu drücken, die Belegschaften mit Entlassungen zu erpressen usw. Nachdem der alte Tarifvertrag Ende September ausgelaufen war, wollten viele Reinigungsunternehmen die damit für sie anscheinend "erledigte" Verpflichtung zur Zahlung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,15 Euro pro Stunde kippen.
"Wir haben nichts mehr zu verlieren", so sei die Stimmung unter den Reinigerinnen und Reinigern gewesen, berichtet Veit Wilhelmy, Bezirkssekretär der IG BAU Wiesbaden-Limburg gegenüber "rf-news". Und weiter: "Wir haben im positiven Sinne unterschätzt, dass so viele Reinigungskräfte mitgemacht hatten. Und es grenzt schon an ein kleines gewerkschaftspolitisches Wunder, dass wir diesen Arbeitskampf überhaupt führen konnten: Die Struktur in der Branche ist sehr kompliziert, sehr kleinteilig, die Leute haben unregelmäßige Arbeitszeiten, es gibt viele geringfügig Beschäftigte und ca. 40 Prozent Befristete - selbst die haben mehrheitlich mitgemacht!
Aus anderen Gewerkschaften hörte man unter vorgehaltener Hand: 'Das werdet ihr nicht schaffen'. Und so haben wir eine riesige Anerkennung und Solidarität bekommen für diesen Streik. Die Arbeitgeber waren nicht zimperlich. In nahezu allen Betrieben wurde versucht, Streikbrecher einzusetzen. Es wurde ein enormer psychischer Druck aufgebaut gegen die Streikenden, Anrufe abends z.B. mit Kündigungsdrohungen waren fast die Regel. Aber ganz wenige nur haben aufgegeben!"
Der Streik war auch ein Politikum: Gezielt wurden Bundesgebäude und Flughäfen bestreikt. Die neu angetretene Regierung wurde direkt mit der Tatsache konfrontiert, dass die kapitalistische "Verzichts"-Logik in der Krise bei den Arbeitern an Wirkung verliert. Die Auseinandersetzung bei den Gebäudereinigern unterstreicht auch die Bedeutung des gesetzlichen Mindestlohns, um den gekämpft werden muss.
Kein Wunder, dass der Streik breite Solidarität der Beschäftigten in anderen Betrieben und Branchen fand, die dafür auch gerne mal auf geputzte Räume verzichteten: "Eure Aktionen sind nicht nur berechtigt, sondern notwendig. Sie sind ein Mosaik-Stein in dem Kampf gegen Hungerlöhne und für Mindestlöhne, von denen Menschen leben können … Wir rufen euch zu: Nur wer kämpft, kann gewinnen! Gemeinsam sind wir stark!", so der Betriebsrat und die IGM-Vertrauenskörperleitung von Alstom Power Mannheim. "Hut ab vor denjenigen, die an diesem Streik teilnehmen und sich somit für alle abhängig Beschäftigten einsetzen. Danke!" Mit diesen Worten erklärten Kolleginnen und Kollegen der Metallfirma BETTE GmbH ihre Solidarität und wünschten den Gebäudereinigern "ein riesiges Durchhaltevermögen für diesen absolut berechtigten Streik". (www.igbau.de)
In Baunatal erhielten die Streikenden ein Solidaritätsschreiben mit den Unterschriften von 900 VW-Kollegen. Ein Aktivist der IG BAU aus Frankfurt berichtet dazu: "Es ist auch wichtig, durch den Streik Selbstbewusstsein zu gewinnen. Die Unterstützung für den Streik bei VW Kassel war natürlich toll. Die Vertrauensleute haben ihre Mittagspause geopfert, um Solidarität zu zeigen und hunderte Solidaritätsunterschriften übergeben. Man muss sich auch mal gegenseitig informieren, wie Streiks heute zu führen sind, z.B. Über den Streik der Kindergärtnerinnen bei Verdi - wie die das organisiert haben."
Viele Belegschaften stehen derzeit vor ähnlichen Herausforderungen. Die Arbeitshetze ist wie in vielen Betrieben drastisch gestiegen: Die stündlich zu reinigende Quadratmeterzahl hat sich in den letzten 15 Jahren fast verdoppelt. In der Krise wurden viele Verträge, sprich Putzzeiten gekürzt. Aus Angst vor dem Verlust des Jobs wurde oft unentgeltlich länger gearbeitet. Sicherlich bleiben auch nach diesem Ergebnis die Löhne niedrig, der Arbeitsdruck hoch usw. Aber entwickelt hat sich ein gewachsenes Selbstvertrauen der Gebäudereiniger und die Überwindung der Angst zu kämpfen.
"Die Frauen haben sich untereinander kennengelernt, sie waren den ganzen Tag zusammen, es sind Bündnisse und Gemeinschaften entstanden", berichtet Susanne Neumann, die Vorsitzende der Bundesfachgruppe der Gebäudereiniger der IG BAU aus Gelsenkirchen, der "Roten Fahne". Viele neue Gewerkschaftsmitglieder konnten gewonnen werden - die gewerkschaftliche Kampfkraft, die Organisiertheit weiter zu stärken ist eine wichtige Konsequenz aus diesem Kampf.
Ein Gebäudereiniger aus Frankfurt zog gegenüber "rf-news" eine zurecht stolze Bilanz: "Der Streik war gut, die Arbeit muss besser bezahlt werden. Laufend wird uns mehr Arbeit aufgedrückt und ganz schlecht bezahlt. Es war schon ein Zeichen, das hohe Urabstimmungsergebnis für Streik. Die Sauberkeit ist eine wichtige Arbeit, das wird oft so nicht gesehen und auch vor allem nicht bezahlt. Wenn am Flughafen richtig gestreikt wird, würde es schnell stinken, dass sich niemand reintraut. Der Streik hat gezeigt, dass die Kollegen Mut haben und gemeinsam was erreichen können."