Sozialismus
Warum der Kieler Stadtrat zur Ehrung des Matrosenaufstands aufrief ...
Kiel (Korrespondenz), 10.11.09: Manch Kieler rieb sich verwundert die Augen, als er den Aufruf der Kieler Ratsversammlung las: Sie rief für den 7. November zu einer Demonstration zu Ehren des Kieler Matrosenaufstandes 1918 auf. Ist die sozialdemokratische Mehrheit im Rat der Stadt plötzlich revolutionär geworden?
Am Morgen des 7. November trafen sich etwa 250 Demonstranten auf der Waldwiese, auf der 81 Jahre vorher der Oberheizer Karl Artelt zur Bildung einer Volksversammlung aufgerufen hatte. Acht von ihnen starben, als sie von einer kaisertreuen Einheit beschossen wurden. Diese Einheit wurde kurzerhand von Matrosen entwaffnet. Auswärtige Truppen, die den Aufstand niederschlagen sollten, gingen in der Mehrheit zu den Aufständischen über. Am 4. November hatten sie gesiegt.
Am 7.11.2009 klärte uns der sozialdemokratische Oberbürgermeister Torsten Albig auf, warum die SPD zu dieser Gedenkdemonstration aufrief: "Das war der Beginn einer Revolution, die zur ersten demokratischen Republik führte." Mit keinem Wort erwähnte er die revolutionäre Arbeiterbewegung, an deren Spitze Karl Liebknecht am 9. November in Berlin für die sozialistische Räterepublik ausrief. Tatsächlich hatte die Sozialdemokratie maßgeblich dazu beigetragen, dass die Novemberrevolution niedergeschlagen wurde. Dabei konnte sie ausnutzen, dass noch keine revolutionäre Partei aufgebaut war, die den Aufstand hätte führen können.
Am Kundgebungsplatz vor dem Kieler Bahnhof trat ein Schauspieler in Matrosenuniform auf und trug gekonnt aus dem Stück "Neunzehnachtzehn" den Aufruf für eine "sozialistische Republik Schleswig-Holstein" vor. Dem Kieler Ernst-Busch-Chor wurde jedoch zum Abschluss das Singen der "Internationale" verboten. Also ergriffen Demonstranten eigenständig die Initiative dafür. Die wichtigste Konsequenz aus der gescheiterten Novemberrevolution ist auch heute der Aufbau der revolutionären Arbeiterpartei. Mehrere Teilnehmer kauften die "Rote Fahne" und interessierten sich für die Initiativgruppe zum Aufbau der MLPD in Kiel.