Politik

Interner Bericht der Bundesagentur für Arbeit bleibt Beweis für "Leistungsmissbrauch" schuldig

09.01.10 - Das Märchen von den "Hartz-IV-Schmarotzern" (Ex-Arbeitsminister Wolfgang Clement), von angeblich Leistungsunwilligen, die sich auf Kosten anderer "in der sozialen Hängematte räkeln" und ähnliches geistert nach wie vor durch Zeitungen und Fernseh-Talkshows. Und immer dann, wenn den Ärmsten der Armen wieder etwas genommen werden soll, so wie jetzt durch den Vorschlag des Sachverständigenrats der Regierung, den Hartz-IV-Regelsatz von 359 auf 256 Euro zu kürzen, wird die reaktionäre Argumentation verstärkt. 

In einem internen Bericht der Bundesagentur für Arbeit heißt es, es würden so "die Interessen der Solidargemeinschaft der Steuerzahler geschützt, die diese Leistung letztlich finanzieren". Nein, die Rede ist nicht von den 800 Milliarden Euro an die Banken, sondern von den jährlich knapp 8 Milliarden an 7 Millionen Hartz-IV-Bezieher. Die "Halbjahresbilanz" meldet den "Erfolg", dass im ersten Halbjahr 2008 60.000 und im ersten Halbjahr 2009 66.500 "Fälle erledigt" wurden. Damit stieg die kolossale "Missbrauchsquote" doch sage und schreibe von 0,9 auf 1,0 Prozent aller Hartz-IV-Bezieher!

Die Autoren räumen selbst ein, dass dieser Anstieg insbesondere darauf zurückzuführen ist, "dass sich die Situation in den ARGEn, die erst seit dem 1.1.2007 für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten zuständig sind, personell, organisatorisch und fachlich verbessert hat". Und wo mehr Personal, dort mehr Missbrauchsahndung. Außerdem kommen Fallmanager nach Insider-Berichten je nach der Höhe der von ihnen erzielten "Einsparungen" und je nach der Anzahl der von ihnen verhängten Sanktionen in den Genuss von Prämien. Verdi-Personalräte der Arbeitsagentur Bochum machen für diese (tatsächlich so genannte) "Verfolgungsbetreuung" eine Vorgabe verantwortlich, die auf eine Anweisung des ehemaligen Bundesarbeitsministers Olaf Scholz (SPD) zurückgeht, die Ausgaben um 8 Prozent zu reduzieren.

Etwa zeitgleich veröffentlichte Nicholas Griesmeier an der Uni München eine wissenschaftliche "Explorationsstudie zur Auswirkung von Totalsanktionen bei Arbeitslosengeld II-Empfängern". Hartz-IV-Bezieher werden verfolgt und sanktioniert, wenn sie ihren Verpflichtungen zur Zwangsarbeit nicht nachkommen, Meldungen bei der ARGE versäumen oder unvollständige Angaben zu ihrem Vermögen machen. Seit den Sanktionsverschärfungen zum 1.1.2007 entfällt zum Beispiel für Personen unter 25 Jahren bei der ersten Pflichtverletzung die Regeleistung vollständig und bei Wiederholung die Leistung für Unterkunft und Heizung für drei Monate.

Die Folgen sind Verschuldungsprobleme, Räumungsklagen, Verweigerung von ärztlichen Behandlungen, Kündigung von Bankkonten, Sperrungen von Telefonanschlüssen sowie eine Verschärfung der sozialen und psychischen Lage (Depressionen). Allein gegen unter 25-Jährige wurden 2008 laut Angaben der Bundesregierung 256.000 derartige Sanktionen ausgesprochen.

Anlässlich des fünften "Geburtstags" von Hartz IV kritisieren auch viele Wissenschaftler die Arbeitsmarktgesetze als unsozial und ineffektiv. Die Vermittlungen gehen zurück, durch Sanktionen werden keine Arbeitsplätze geschaffen, es fehlt an Kinderbetreuung etc., so Stimmen aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung kritisiert, dass mit der "Hartz-IV-Reform" die unsicheren Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland besonders stark angewachsen seien: immer mehr Arbeiter und Angestellte sind Niedriglöhner, oft mit befristeten Verträgen, ohne Kündigungsschutz und Tarifvertrag.

Unter dem Eindruck der Kritik an Hartz IV und des nicht verstummenden Protests dagegen hat jetzt unter anderem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zur "grundlegenden Überarbeitung" der Hartz-Gesetze aufgerufen. Bei genauerer Betrachtung sind seine Vorschläge ebenso wie die von Siegmar Gabriel und anderen geringfügige Änderungen, wie die Erhöhung der besonders skandalös niedrigen Sätze für Kinder und Jugendliche. Selbst das ist jedoch der "gelb-schwarzen" Regierung noch zu viel.

Die reaktionären Hartz-Gesetze und ihr ganzer Geist müssen weg - ohne Wenn und Aber. Dafür kämpft die Montagsdemo-Bewegung seit fünf Jahren, übermorgen wieder in vielen Städten Gelegenheit, sich ihr anzuschließen!