Umwelt

PCB-Katastrophe in Dortmund - Filz aus Behörden und Unternehmen vertuscht Umweltverbrechen

29.06.10 - Die meisten Kollegen der seit dem 20. Mai stillgelegten Dortmunder Entsorgungsfirma Envio AG sind mit der krebsfördernden Chemikalie PCB (polychlorierte Biphenyle) verseucht. Alle 23 untersuchten der insgesamt 30 Beschäftigten weisen 8.600-fach erhöhte PCB-Werte im Blut auf. Das ist ein Maximalwert, der die im Bevölkerungsdurchschnitt vorhandene Belastung mit diesem Gift um mehr als das 25.000-fache überschreitet. Es ist die bundesweit größte PCB-Katastrophe der letzten Jahrzehnte. Obwohl seit den 1980er Jahren nicht mehr produziert und 2001 weltweit geächtet, findet sich PCB in heute noch verwendeten Industrie-Trafos, Hydraulikanlagen und Lacken. Bei der Verbrennung entstehen Dioxine und Furane, die gefährlichsten nicht radioaktiven Gifte.

Durch ein offensichtliches Zusammenspiel der Behörden mit verschiedenen Firmen wird seit Jahrzehnten die Umweltverseuchung am Dortmunder Hafen vertuscht und verharmlost. Hier ist eine Ansammlung von Schrott- und Recyclingfirmen, die auch mit öffentlichen Betrieben verflochten sind. In Kooperation mit der stadteigenen EDG (Entsorgung Dortmund GmbH) werden die Container mit kontaminiertem Material durch Dortmund transportiert.

Es ist anzunehmen, dass auch die 356 Beschäftigten der 12 anderen Firmen auf dem Betriebsgelände im Dortmunder Hafen Vergiftungen durch PCB aufweisen. Der ehemalige Envio-Produktionsleiter berichtete der "Westfälischen Rundschau", dass bei Envio PCB-belastete Trafos im Freien zerlegt wurden, Sicherheitseinrichtungen nicht vorhanden oder deaktiviert waren und Tausende Tonnen PCB-belastetes Material als recycelter Schrott weltweit verkauft wurden.

Bereits 1989 wurde den Anwohnern der umliegenden Kleingartenanlagen vom Verzehr von Blattgemüsen abgeraten, weil Dioxine und Furane nachgewiesen wurden. 1993 und 1995 wurden Dioxine bei Bränden in der (inzwischen insolventen) Firma Niko Metall frei. Der kontaminierte Boden wurde nicht abgetragen, sondern mit Stahlplatten versiegelt, das vergiftete Gelände wird heute als Schrottlager genutzt.

Obwohl die Envio AG seit 2007 in einen Giftskandal verwickelt ist, hat der Dortmunder Umweltdezernent Wilhelm Steitz (Grüne) die Envio AG Ende 2009 persönlich mit dem "ÖkoProfit"-Preis der Stadt ausgezeichnet, für "herausragende Ökologie und Nachhaltigkeit". Im Winter 2007 wurde in Grünkohl, der aus den großen Kleingartenanlagen rund um den Dortmunder Hafen stammte, PCB und Dioxin gefunden. Die notwendigen Untersuchungen wurden bis Ende 2008 verschleppt.

Die Bezirksregierung in Arnsberg und das Dortmunder Umweltamt  warteten noch fast eineinhalb Jahre bis zum 5. Mai 2010 mit einer Untersuchung des Betriebsgeländes, das schließlich am 19. Mai stillgelegt wurde. Umweltdezernent Steitz zeigte sich "fassungslos", weil ihm bei einem persönlichen Besuch des Unternehmens erzählt worden war, wie "innovativ und sicher alles" sei ("Westfälische Rundschau", 18.5.10).

Mit den auf Druck der betroffenen Kollegen durchgeführten Blutuntersuchungen geht die versuchte Verschleierung des Ausmaßes der Katastrophe weiter. Nach einer Empfehlung des "Landesinstituts für Gesundheit und Arbeit" (LiGA) in Düsseldorf wurde das Blut nur auf PCBs analysiert, nicht auf Dioxine und Furane. Vorrangig sollten erst einmal die 356 Mitarbeiter der auf dem Envio-Gelände beheimateten Untenehmen untersucht werden. Am 8. Juni 2010 teilte die Stadt jedoch mit, dass durch eine Panne 200 Proben nicht zum Labor befördert wurden und daher nun unbrauchbar seien. Die Blutproben müssten wiederholt werden.

Die hier zutage tretende enge Zusammenarbeit von Behörden und Unternehmen, vor allem internationalen Monopolen, ist kein Einzelfall, sondern hat im staatsmonopolistischen Kapitalismus System. Eine vollständige Aufklärung aller Umstände und Zusammenhänge der PCB-Katastrophe muss durchgesetzt und die Verantwortlichen in Unternehmen und Behörden bestraft werden. Notwendig ist die Entschädigung aller Betroffenen und ihrer Familien durch die Kapitalisten.

(Interessante Hintergrundinformationen zu "Gesundheitsschäden am Arbeitsplatz" enthält das 1987 erschienene Buch "Noch nicht zu spät" von Marianne Müller)

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