Politik
Wie weiter gegen "Stuttgart 21"? Aktiver Widerstand statt "Deeskalation" und faule Kompromisse!
17.08.10 - Unmittelbar nach der Montagsdemonstration gegen das Projekt "Stuttgart 21" am 16. August mit wiederum über 11.000 Teilnehmern (nach 21.000 am letzten Freitag bei der Bahnhofsumzingelung) kam es zur Besetzung des seit mehr als zwei Wochen umzäunten Geländes vor dem Nordflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Zur Freude vieler Demonstranten war mitten im Bauzaun "plötzlich" eine Öffnung und mehrere Hundert strömten auf das Bahnhofsvorgelände, wo bereits Baufahrzeuge stehen und Abrissarbeiten laufen. Tausende Demonstranten unterstützten die Besetzung wiederum lautstark von vor dem Zaun.
Der Zaun selbst ist mittlerweile vor lauter selbst gefertigten Plakaten, Transparenten und Zetteln kaum noch als solcher zu erkennen und wurde umbenannt in "Protestzaun". Die Bauplatzbesetzung war ein weiterer Höhepunkt im Widerstand, nachdem in den letzten Wochen mehrfach das Demonstrationsrecht mit spontanen Demonstrationen durch die Innenstadt und Straßenblockaden durchgesetzt wurde.
Von der Polizei wurde nach außen hin bisher eher zurückhaltend agiert, aber dennoch wurden auch mehrere Anzeigen gegen Blockierer erlassen und ständig wird gefilmt. Eine wichtige politische Forderung der "S21"-Gegner ist inzwischen, dass alle diese Repressalien vom Tisch müssen im Sinne eines uneingeschränkten Demonstrations- und Versammlungsrechts auf antifaschistischer Grundlage. Nach der Bauplatzbesetzung vom 16. August kündigte die Stuttgarter Polizei nun eine "Strategieänderung" an, man werde in Zukunft wohl härter vorgehen "müssen".
Bei dem von der MLPD initiierten offenen Mikrofon während der Bauplatzbesetzung bekam deshalb auch der Protest gegen die Kriminalisierung des aktiven Widerstands tosenden Beifall und immer wieder wurde skandiert: "Bahnhof frei – keine Polizei!" Die Demonstranten ließen sich auch vom Stoßen und Schubsen der polizeilichen Einsatztruppen nicht provozieren und nach zwei Stunden wurde die Besetzung geordnet beendet mit dem tausendfachen Ruf "Wir kommen wieder!"
Beim offenen Mikro sprachen auch mehrere Arbeiter aus Großbetrieben und berichteten von entsprechenden Diskussionen unter den Kollegen, darunter auch der Daimler-Betriebsrat Volker Kraft. Er war am gleichen Tag auch in der "Südwest Presse" in einem längeren Artikel über die Demo am letzten Freitag zitiert worden: "Es ist die bisher größte Demo – und wenn es nach Kraft geht, ist es erst der Anfang. 'Allein durch Lichterketten bringen wir das Projekt nicht zu Fall', sagt der kampferprobte Betriebsrat vom Daimler-Werk in Untertürkheim.'Verlängerte Mittagspausen in Großbetrieben', könne er sich vorstellen, um das 'völlig überteuerte Milliardenprojekt, für dessen Finanzierung man am Ende bei den sozial Schwachen sparen wird', noch zu stoppen, sagt der 57-jährige unter dem Bahnhofsturm, auf dem sich ein riesiger Daimler-Stern dreht.“ ("Südwest Presse", 16.8.10) (...)
So entwickelt sich in der Massenbewegung gegen "S21" eine Auseinandersetzung zwischen zwei Richtungen, die offen ausgetragen werden muss: in vielen Beiträgen am offenen Mikro und in der Stadtzeitung der MLPD "tatsach" wird vertreten, dass die anwachsende Bewegung verbreitert, verstärkt und zum aktiven Widerstand höherentwickelt werden muss, - und dass, wenn sie so stark ist, ein "Moratorium" durchzusetzen ist, dass dann auch die "S21"-Pläne vollständig zum Scheitern bringen kann. Also, dass auf "Sieg gespielt" werden muss. Dafür gab es große Zustimmung.
Dagegen lenkt der Spitzen-Grüne, Tübinger OB und ehemalige Stuttgarter OB-Kandidat Boris Palmer bereits auf faule Kompromisse, die nach einem "Moratorium" durch eine "Friedenskonferenz" möglich sein sollten. So erklärte er in der "Stuttgarter Zeitung": "Ebenso gäbe es Möglichkeiten, den Tiefbahnhof zu bauen und den Bonatzbau zu erhalten." (17.8.10) Der Bau des Tiefbahnhofs aber wäre im Kern die Realisierung von "S21" und damit die einseitige Bevorzugung des Schnellfernverkehrs auf Kosten des Nahverkehrs und des Güterverkehrs. (...)
Um die Auseinandersetzung über den weiteren Weg des aktiven Volkswiderstands im engen Schulterschluss mit der kämpferischen Arbeiterbewegung zu fördern, führt die offene Initiativgruppe der MLPD "Stopp S21 – Wir denken weiter als der Kapitalismus erlaubt!" am 20. August eine Diskussionsveranstaltung durch: "Wie weiter im Kampf gegen S21?" Aufgrund der am gleichen Abend stattfindenden Demonstration zum Rathaus wurde die Uhrzeit von 17 Uhr auf 20 Uhr verlegt. Veranstaltungsort ist das ABZ Süd, Bruckwiesenweg 10.
(Dieser Artikel der MLPD-Landesleitung Baden-Württemberg ist gekürzt und erscheint in ausführlicher Länge in der neuen "Roten Fahne" Nr. 33/10, die am Freitag erscheint - sie kann hier bestellt werden)