Politik
Haushaltsdebatte im Zeichen der rigorosen Abwälzung der Krisenlasten auf die Werktätigen
15.09.10 - Heute setzte der Bundestag mit der sogenannten "Generaldebatte", einem Schlagabtausch zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien, die noch bis Freitag andauernden Haushaltsberatungen fort. Bundeskanzlerin Merkel versprach, die "Aufgaben der Zukunft endlich ernst zu nehmen". Hatte sie nicht Ähnliches schon vor zwei Jahren, nach dem Ausbruch der bisher tiefsten Weltwirtschafts- und -finanzkrise gesagt? Mit der fürs kommende Jahr geplanten Neuverschuldung von 57,5 Milliarden Euro legt die Regierung vor allem die Grundlage für noch tiefere Kriseneinbrüche in der Zukunft einschließlich der Gefahr eines Staatsbankrotts. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verkauft größte Neuverschuldung aller Zeiten noch als Erfolg, weil statt von 57,5 Milliarden im Vorfeld sogar von rund 85 Milliarden Euro Neuverschuldung die Rede war. Da klingt es schon wie ein Offenbarungseid, wenn er beteuert: "Wir sind entschlossen, Kurs zu halten."
Kurs halten für wen? Die "sprunghaft wachsende Staatsverschuldung ist für die Banken eine sprudelnde Profitquelle, kann durch die Staaten jedoch nur finanziert werden, indem die Steuern erhöht, staatliche Leistungen weiter gekürzt oder die Inflation angeheizt wird, um die Staatsschulden zu entwerten", das prognostizierte die Broschüre "Bürgerliche politische Ökonomie vor dem Scherbenhaufen" bereits im Frühjahr 2009. Genau das wird mit diesen Haushaltsbeschlüssen eintreten, auch wenn sie noch so oft als angebliches "Sparpaket" ausgegeben werden.
Die darin vorgesehenen 80 Millionen Euro an Kürzungen bedeuten eine umfassende Abwälzung der Krisenlasten auf die Masse der Bevölkerung. Im Bereich Wohngeld ist geplant, den Heizkostenzuschuss nach § 12 Abs. 6 WoGG ab dem 1.1.2011 komplett und ersatzlos zu streichen. Er wurde im Rahmen der Wohngeldreform erst 2009 eingeführt. Ab Januar 2011 soll auch das Elterngeld gekürzt und bei Hartz-IV-Empfängern als Einkommen auf die Sozialleistungen angerechnet werden. Ebenfalls streichen will man den befristeten Zuschlag für frühere ALG-I-Bezieher auf das Arbeitslosengeld II. Auch die Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung für Bezieher von Hartz-IV-Leistungen soll entfallen. Ab 2011 würden somit Empfänger von ALG II keine Rentenansprüche mehr auf diese Zeit haben.
Einen Balanceakt vollbrachte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel in der Debatte, als er der Bundeskanzlerin vorwarf, sie mache "sich selbst zur Kanzlerin der Konzerne" und der Regierung fehle "jede Vorstellung davon, was eigentlich Gemeinwohl ist in Deutschland". Hofft Gabriel darauf, dass wir vergessen, dass sich mit den Hartz-Gesetzen der SPD/Grünen-Regierung nach 2004 der Niedriglohnsektor und die Leiharbeit sprunghaft ausgeweitet haben?
So fällt Gabriels Kritik an erneuten Milliarden für die Konzerne - allein 100 Milliarden für den Energiebereich – entsprechend milde aus: "Aufschwung für alle ist jetzt angesagt und nicht nur für ein paar Leute im Management von Banken und Börsen." Auf gut deutsch, die Banken und Konzerne können mit ihren Spekulationen weiter machen wie bisher. Seine Orientierung auf einen "sozialen Ausgleich" macht die Lebenssituation der Werktätigen und ihrer Familien von Wohl und Wehe der Krisenverursacher abhängig.
Statt sich dem unterzuordnen, muss die Arbeiter- und Volksbewegung im Vertrauen auf die eigene Kraft in die Offensive gehen. Für den Kampf gegen das Krisenprogramm sind sowohl die laufenden Tarifrunden und gewerkschaftlichen Herbstaktionen eine Plattform als auch selbständige Kämpfe in den Betrieben und die selbst organisierte siebte Herbstdemonstration gegen die Regierung am 16. Oktober in Berlin (www.bundesweite-montagsdemo.com).