Umwelt

Chemiekatastrophe in Ungarn

06.10.10 - Es ist die bisher schlimmste Umweltkatastrophe in Ungarn: ein offener Speicher für Bauxitschlamm in der Aluminiumhütte in Ajka, 165 Kilometer westlich von Budapest, ist geplatzt und über eine Million Kubikmeter giftiger und ätzender Industrieschlamm sind ausgetreten. Der Bauxitschlamm in Kolontar ist ein Nebenprodukt der Erzeugung von Tonerde, aus der wiederum Aluminium gewonnen wird. Die Masse strömte zunächst in einen Bach und vermischte sich dort mit dem schon seit mehreren Tagen in der Gegend liegenden Hochwasser.

Daraufhin überschwemmte die Schlammlawine den Ort Kolontar und richtete in vier benachbarten Orten Schäden an. Vier Menschen starben,  mehr als Hundert Menschen wurden zumeist mit Verätzungen in Krankenhäuser gebracht. Acht schweben in Lebensgefahr.

In Kolontar und der benachbarten Kleinstadt Devecser stand der rote natronlaugehaltige Bauxitschlamm meterhoch. Die Schlammlawine begrub Hunderte Häuser, Autos und Gärten unter sich. Die Regierung verhängte für die westungarischen Bezirke Veszprem, Vas und Györ den Notstand. Tote Fische aus dem Fluss Marcal wurden an die Ufer geschwemmt. "Ich finde keine Worte dafür", zitierte das Internetportal "nol.hu" einen 25-jährigen Augenzeugen. "Ich rannte auf den Kirchhügel und musste zusehen, wie die Flut einfach mein Auto verschlang." Das "unheimliche, brodelnde Geräusch" der Lawine werde er nie vergessen, sagte er.

Die Regierung entzog der Betreiberfirma MAL AG, die bislang keinerlei Verantwortung übernehmen will, die Betriebserlaubnis. Jedoch spielt sie ebenso wie die Firma die Folgen für Natur, Mensch und Umwelt herunter. Innenminister Sandor Pinter behauptete am Nachmittag, die unmittelbare Gefahr sei vorbei: "Die Arbeit konzentriert sich auf die Schadensaufnahme und -behebung."

Das ist eine gefährliche Verharmlosung. Der giftige laugen- und schwermetallhaltige Schlamm vermengt sich mit dem Hochwasser und bedroht so das Trinkwasser in der ganzen Region. Die ätzende Substanz könne Haut und Augen verletzen, stellte die ungarische Umweltorganisation "Levegö Munkacsoport" (Arbeitsgemeinschaft Saubere Luft) fest. Dringt der Schlamm ins Grundwasser, werden Schwermetalle in Trinkwasser und Nutzpflanzen gelangen. Deren Genuss könne dann schwere Gesundheitsschäden verursachen. Der Schlamm lagert sich auf den landwirtschaftlichen Nutzflächen ab und verwüstet sie auf Jahre hinaus.

Die Katastrophe zeigt, dass sich in vielen Betrieben Mittel- und Osteuropas um des Profits willen über die grundlegendsten Umweltschutzmaßnahmnen hinweggesetzt wird. Im Januar 2000 war im nordwestrumänischen Baia Mare, unweit der ungarischen Grenze, ein Reservoir mit zyanidhaltigem Klärschlamm aus einem Goldbergwerk geborsten. Die Giftwelle hatte im ungarischen und serbischen Abschnitt der Theiß ein massives Fischsterben ausgelöst.