Politik
Erneut 50.000 gegen "Stuttgart 21" - trotz Schlichtung und angeblicher "Friedenspflicht"
24.10.10 - Rund 50.000 Menschen nahmen gestern in Stuttgart an der Kundgebung vor dem Nordflügel des Stuttgarter Bahnhofs gegen das Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21" ("S21") teil. Anschließend gab es eine spontane Demonstration vom Gebhard-Müller-Platz in Richtung Landtag, über den Rotebühlplatz und den City-Ring zurück zum Hauptbahnhof. Ein Teil der Demonstranten marschierte zum Funkhaus des Südwestrundfunks.
Zeitgleich hatte die CDU im Land zu einer Kundgebung für das Großprojekt auf dem großräumig von Polizei abgeriegelten Schlossplatz aufgerufen. Beobachter sprechen von maximal 3.000 bis 4.000 Teilnehmern. Neben Bahnchef Rüdiger Grube sprachen der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU), der ehemalige Projektsprecher Wolfgang Drexler (SPD) und die Landesumweltministerin Tanja Gönner (CDU). Grube sagte: "Die Deutsche Bahn kann, darf und will keinen Stopp."
So viel zum Thema der angeblich "ergebnisoffenen" Schlichtungsgespräche, deren erste Runde am Freitag unter Leitung von Heiner Geißler (CDU) stattgefunden hatte. Sie sollte der Erörterung des verkehrstechnischen Nutzens von "S21" dienen. Dabei stellte sich heraus, dass die stets behaupteten höheren Kapazitäten von "S21" gegenüber dem bestehenden Kopfbahnhof auf haarsträubenden Annahmen beruhen und schön gerechnet werden.
Die Auseinandersetzungen um die Schlichtung hatten in der letzten Woche für einen Rückgang der Teilnehmerzahlen der Projektgegner gesorgt. Die Parkschützer, die mit tausenden Mitstreitern den Kampf um die Bäume im Schlossgarten führen, sind aus den Schlichtungsverhandlungen ausgestiegen. Sie kritisieren, dass es keinen wirklichen Baustopp gibt, weil das "Grundwassermanagement" weiterläuft. Es ist die derzeit technisch wichtigste Baumaßnahme zur Vorbereitung der geplanten Riesengrube.
Bei der Kundgebung und Demonstration gestern stieg die Teilnehmerzahl ungeachtet der von der Landesregierung geforderten "Friedenspflicht" während der Schlichtung wieder an. Unvergessen ist nach wie vor der blutige Polizeieinsatz vom 30. September. "Mappus weg!" war deshalb eine Hauptparole. Peter Conradi (SPD) quittierte diese Losung in seiner Rede bei der Kundgebung säuerlich: "Auch wenn ihr noch so oft ruft 'Mappus weg!', er wird deshalb nicht zurücktreten ...". Statt dessen orientierte er auf die Landtagswahl am 27. März 2011. Die Redner von BUND und Fahrgastverband unterstützten dagegen klar die Forderung nach einem Stopp von "S21".
Die gestern breit verteilte neue Ausgabe der "tatsach’", der Stuttgarter Stadtzeitung der MLPD, ging auf "Neue Fragen im Kampf gegen Stuttgart 21" ein. Darin heißt es unter anderem: "Die Herrschenden versuchen derzeit 'Stuttgart 21' mit zwei Methoden doch noch durchzusetzen: Auf der einen Seite mit Gewalt, auf der anderen Seite mit Gesprächen zur 'Einbindung' und dem Zurückrollen des Widerstands." Sie weist darauf hin, dass "die politische Dimension der Auseinandersetzung inzwischen viel weitgehender ist als die Frage des Bahnhofs bzw. von pro und contra", dass die Kanzlerin selber "taumeln" könnte, wenn Mappus fällt.
Bei der spontanen Demonstration nach der Kundgebung war das offene Mikrofon der MLPD die einzige Möglichkeit, sich in größerem Rahmen inhaltlich auseinander zu setzen. Kollegen aus Betrieben, Jugendliche und andere nutzten es, um ihre Meinung zu sagen. Hier wurde auch immer wieder darauf hingewiesen, dass am 13. November die Gewerkschaften eine Großdemonstration gegen das Krisenprogramm der Regierung durchführen. "Im engen Schulterschluss von kämpferischer Arbeiterbewegung und aktivem Volkswiderstand liegt eine große Chance, nicht nur Stuttgart 21, sondern auch andere volksfeindliche Projekte zu Fall zu bringen!" heißt es dazu in der "tatsach’".