Politik

Hoffnungen auf S21-"Friedensgespräche": Berechtigt oder trügerisch?

22.10.10 - Die Demonstrationen gegen "Stuttgart 21" gehen weiter. Erstmals sind die hohen Teilnehmerzahlen der Massendemonstrationen aber auch relativ zurückgegangen. Schon frohlockte das CDU-Landesvorstandsmitglied C. Bäumler, die "Strategie der Deeskalation zeitige Erfolge". ("Stuttgarter Zeitung", 19.10.2010) Nach dem "Schwarzen Donnerstag" (30. September) waren die Massenaktivitäten zunächst sprunghaft angestiegen mit der politischen Hauptforderung nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten Mappus als dem Verantwortlichen für den Wasserwerfereinsatz mit hunderten Verletzten. Inzwischen steht die Frage nach dem Verhältnis zu den sogenannten "Schlichtungsgesprächen" unter Heiner Geißler (CDU) im Zentrum der Massendiskussion.

Die aktiven Parkschützer, die mit tausenden Mitstreitern seit Monaten den Kampf um die Bäume im Schlossgarten vorbereiten und führen, sind gleich zu Beginn aus den Gesprächen ausgestiegen. Sie kritisieren, dass es keinen wirklichen Baustopp gibt.

Das ist berechtigt, die Kritik an den Gesprächen muss dennoch über die Frage des Baustopps hinausgehen. Denn Geißler wurde von der Landesregierung bewusst als "Schlichter" berufen, obwohl es bei der offen aufgebrochenen Machtprobe "Stuttgart 21 – ja oder nein" nichts zu schlichten gibt. Nicht von ungefähr führte er deshalb als erstes den Begriff der "Friedenspflicht" ein. Wer sich daran nicht halte, müsse nach seinen Worten "eines auf die Mütze bekommen" ("Stuttgarter Zeitung", 9.10.)

Was das heißt, wurde bei der Besetzung des Südflügels des Hauptbahnhofs deutlich, als es am 16. Oktober erneut einen harten Polizeieinsatz gegen Demonstranten gab und die CDU-Fraktion im Gemeinderat sofort aufheulte, diese Besetzung sei ein "Verstoß gegen die Schlichtung" und: "Verlässliche und seriöse Partner sehen anders aus." (CDU-Presseerklärung)

Da Geißler allerdings auch davon sprach, dass die "Basta-Politik" ein Ende haben müsse, sind viele "Stuttgart 21"-Gegner erfreut und haben den Eindruck, er stehe auf ihrer Seite. Aber auch Mappus griff diesen Begriff sofort positiv auf und kritisierte scheinheilig die Politik der Projektbetreiber in der Vergangenheit. Danach sei "Stuttgart 21" in erster Linie ein "Kommunikationsproblem", weil die "Bevölkerung zu wenig eingebunden" worden sei.

Tatsache ist jedoch, dass sich die Bevölkerung bewusst nicht in dieses massenfeindliche Projekt einbinden ließ. Vor diesem Hintergrund braucht es auch keine Gespräche, weil angeblich die Fakten nicht auf dem Tisch lägen, sondern umgekehrt: Es ist gerade ein wesentlicher Bestandteil des Protests, dass immer mehr Fakten gegen "Stuttgart 21", z. B. die Milliarden-Mehrkosten, ausgehend von der Basis und gegen die Vertuschung von oben aufgedeckt wurden.

Im Kern werden anhand dieser Vorgänge zwei zusammengehörige Methoden deutlich, mit denen die Herrschenden derzeit versuchen, "Stuttgart 21! doch noch durchzusetzen: Auf der einen Seite mit Gewalt, auf der anderen Seite mit Gesprächen zur "Einbindung" und dem Zurückrollen des Widerstands. Demgegenüber weisen verschiedene Gesprächsvertreter der "Stuttgart 21"-Gegner daraufhin, man habe durch die Gespräche endlich die Möglichkeit, weitere "Öffentlichkeit" für ihre Argumente zu schaffen. Abgesehen davon, dass es bisher keinerlei demokratische Wahl der Vertreter zu den Gesprächen gegeben hat, verkennt diese Argumentation, dass die politische Dimension der Auseinandersetzung inzwischen viel weitgehender ist als die Frage des Bahnhofs bzw. von pro und contra.

Die wichtigste politische Forderung – spätestens seit dem 30. September – ist der Mappus-Rücktritt, weswegen es auch keineswegs nur um einen Baustopp gehen darf als Vorbedingung für Gespräche. "Fällt Stuttgart, könnte Merkel taumeln!", titelte bereits die "FAZ" (13.10.). Und weil das so ist, steht auch die Kanzlerin voll hinter Mappus und hat ihm von Anfang an Rückendeckung für den 30. September gegeben. Bis heute gibt es kein Wort der Entschuldigung und schon gar nicht irgendeine Bestrafung oder den Rücktritt der Verantwortlichen. Umso weniger dürften gerade in einer solchen Situation Gespräche mit eben diesen "Verantwortlichen" im Interesse des Widerstands und der Durchsetzung seiner Forderungen dienlich sein!

Die richtige Antwort ist dagegen – gerade weil der Widerstand bei den Herrschenden schon Wirkung zeigt und sie in die Defensive bringt – ihn nun noch wesentlich breiter, stärker und aktiver werden zu lassen, nicht nur in Stuttgart, sondern landesweit.

Peter Borgwardt,
Landesleitung der MLPD
Baden-Württemberg