International
Massives Krisenprogramm - auch Großbritanniens Regierung legt sich mit den Massen an
23.10.10 - Die britische Regierungskoalition aus Konservativer Partei (Tories) und Liberaldemokraten hat diese Woche bekannt gegeben, dass sie ihren Haushalt um 20 Prozent kürzen will. Wie üblich soll die Masse der Bevölkerung für dieses in Europa bisher massivste "Sparprogramm" zur Kasse gebeten werden. Weil Großbritannien ein Zentrum des internationalen Finanzkapitals ist, verschlang das britische Bankenrettungs-Programm Hunderte Milliarden Pfund, was die Staatsverschuldung explodieren ließ. 2002 betrug sie noch 37,5 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukte, heute liegt sie bei über 80 Prozent.
Angesichts des drohenden rapiden Wertverlustes des britischen Pfund, der zunehmenden Gefahr eines Staatsbankrottes und der Folgen, die das für die gesamte EU hätte, will die britische Regierung nun innerhalb von fünf Jahren das jährliche Defizit von elf auf zwei Prozent reduzieren. Während die Zinszahlungen an die Banken von der britischen Regierung unter allen Umständen garantiert werden, soll allein ein Viertel der Kürzungen, fast 20 Milliarden Pfund, durch einen radikalen Abbau von Sozialleistungen erreicht werden.
So will die Regierung den sozialen Wohnungsbau massiv zurückfahren, die Ausgaben für Langzeitkranke und Arbeitslose drastisch reduzieren und Zuschüsse für Kinderbetreuung arbeitender Mütter erheblich zusammenstreichen. 2011 soll zudem die Mehrwertsteuer von 17,5 auf 20 Prozent erhöht werden, sollen die Strompreise zusätzlich besteuert und Heizkostenzuschüsse für Niedrigverdiener gestrichen werden.
Ein Kernstück des Krisenprogramms ist die geplante Vernichtung von mehr als 490.000 Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst in den nächsten vier Jahren, das entspricht 8 Prozent aller dort Beschäftigten. Die Heraufsetzung des Rentenalters auf 66 soll sechs Jahre früher als bisher geplant in Kraft treten. Auch die geplante Reduzierung der staatlichen Zuweisungen an die Kommunen um 25 Prozent wird spürbare Einschränkungen für die Masse der Bevölkerung zur Folge haben.
Das bestätigt, was schon im März 2009 in der Broschüre "Bürgerliche politische Ökonomie vor dem Scherbenhaufen" ausgeführt wurde: "... die sprunghaft wachsende Staatsverschuldung ist für die Banken eine sprudelnde Profitquelle, kann durch die Staaten jedoch nur finanziert werden, indem die Steuern erhöht, staatliche Leistungen weiter gekürzt oder die Inflation angeheizt wird, um die Staatsschulden zu entwerten." Zugleich gibt das britische Krisenprogramm einen Vorgeschmack darauf, was auf die Massen in anderen europäischen Ländern noch zukommen wird, deren Regierungen teilweise - wie etwa in Deutschland - noch vor der damit verbundenen Verschärfung der Widersprüche zurück schrecken.
Auch in Großbritannien befürchten bürgerliche Ökonomen einen neuen Krisenschub aufgrund der massiven Verschlechterung der Lebenslage der Bevölkerung. Die britische Regierung befindelt sich in einer Zwickmühle. So oder so muss sie sich mit der Masse der Bevölkerung anlegen. Bereits diese Woche gab es erste Proteste von Gewerkschaftern vor dem britischen Parlament. Erst im Frühjahr hatten 200.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gegen die Pläne der Labour-Regierung gestreikt, die Abfindungszahlungen im Fall von Entlassungen um ein Drittel zu senken. Der Gewerkschaftsdachverband TUC bereitet landesweite Streiks gegen die Folgen des Krisenprogramms vor.
Es ist genau richtig, wenn es in immer mehr europäischen Ländern - wie gegenwärtig in Frankreich - zu Massenprotesten und -streiks gegen die von den Regierungen europaweit koordinierten Krisenprogramme kommt. Umso mehr kommt es darauf an, auch diese Kämpfe länderübergreifend zu koordinieren. Mit der Gründung der neuen internationalen revolutionären Organisation ICOR ("International Coordination of Revolutionary Parties and Organizations") wurde dafür am 16. Oktober eine ganz wesentliche Voraussetzung geschaffen. Mehr dazu hier und in der aktuellen "Roten Fahne" (sie kann hier bestellt werden).