Politik

"Schnellstraße zur Vollbeschäftigung"?

29.10.10 - In den letzten beiden Tagen liefen die bürgerlichen Medien an Meldungen über, dass die Arbeitslosigkeit auf den niedrigsten Stand seit 1992 gesunken und weiter rückläufig sei. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sieht gar "Deutschland auf einer Schnellstraße zur Vollbeschäftigung". Tatsächlich beruht der Anstieg der Beschäftigung allerdings auf einer weitgehenden Umstrukturierung des Arbeitsmarkts. Das so genannte "Jobwunder" ist überwiegend eine Zunahme von 400-Euro-Jobs, geringfügiger Beschäftigung oder im Niedriglohnbereich.

Fast 5 Millionen Menschen haben nur einen 400-Euro-Job, 2,2 Millionen verdienen sich mit einem Minijob etwas dazu und fast 900.000 wurden von den Arbeitsagenturen in schlecht bezahlte Leiharbeit gepresst. Dazu kommt, dass durch das Krisenmanagement der Regierung mit aus Steuergeldern finanzierter Kurzarbeit vor allem Massenentlassungen in Großbetrieben vermieden wurden. Neben der zunehmenden Verdrängung regulärer Vollzeitarbeitsplätze durch schlecht bezahlte Teilzeit- oder Leiharbeit tragen auch statistische Tricks zum geschönten Bild bei: Fast 1,5 Millionen Menschen befinden sich in "staatlicher Beschäftigungstherapie".

Sie arbeiten als Ein-Euro-Jobber, sind in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder machen irgendeine Qualifizierung. Diese Menschen zählen nicht als arbeitslos. Offiziell 379.000 Menschen bekommen keine "Leistungen", weil sie zum Beispiel Sperrfristen haben. Die Bundesagentur für Arbeit gibt außerdem selbst zu, dass etliche Angaben auf "Schätzungen und Hochrechnungen" der BA beruhen, die Anzahl der Kurzarbeiter könne man "erst nach fünf Monaten Wartezeit" genau angeben.

Trotz Herrn Brüderles "Schnellstraße zur Vollbeschäftigung" sind die Ausgaben der BA von 45,6 Milliarden Euro in 2009 auf 54,08 Milliarden Euro in diesem Jahr angestiegen. Die Zahl der "Leistungsempfänger" verharrt mitten im "Arbeitsmarktwunder" weiterhin auf höchsten Niveau, die Statistik der BA weist ca. 7,6 Millionen Menschen im "Leistungsbezug" von Arbeitslosengeld I,  Arbeitslosengeld II und Sozialgeld aus. Alleine in den ersten drei Oktoberwochen haben 24 Betriebe Insolvenz angemeldet, wovon 2.490 Arbeitsplätze betroffen sind.

Durch Insolvenzen, Fusionen, Stilllegungen und Auslandsverlagerungen werden im Durchschnitt seit der Bundestagswahl jeden Tag ca. 1.600 Arbeitsplätze vernichtet. Drastisch ist die Lage in Deutschlands größter Stadt, in Berlin. Jeder fünfte Berliner im Alter von 15 bis 65 Jahren, das sind 595.936 Menschen, ist auf Hartz IV angewiesen. Jeder zehnte Hartz IV-Betroffene ist unter 25 Jahren, jeder fünfte ist über 50 Jahre. Während die internationalen Monopole wie Daimler oder die Energiemonopole Milliardengewinne ausweisen, nehmen Armut und Not beharrlich zu.

Mit dem gestern beschlossenen "Haushaltsbegleitgesetz" wird diese Entwicklung vorangetrieben. Für Hartz-IV-Betroffene wird kein Rentenbeitrag mehr gezahlt, der befristete Zuschlag beim Übergang vom Arbeitslosengeld I in Hartz IV fällt weg, ebenso das Elterngeld. Zudem bekommt die Bundesagentur für Arbeit mehr Ermessensspielraum und kann künftig selbst über Sinn und Zweck von Förderprogrammen oder Eingliederungshilfen entscheiden. Der Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger soll wegfallen.

Streiks wie vorgestern bei Daimler gegen die "Rente mit 67" sind ein guter Anfang für den Kampf gegen das Regierungsprogramm. Da könnte aus der Schnellstraße in Herrn Brüderles "Vollbeschäftigung" schnell die Crashfahrt für die Regierung in einen heißen Herbst werden.