Umwelt

Größte Demonstration in der Geschichte des Wendlands: "Seid ihr sicher, dass ihr euch mit uns anlegen wollt?"

Größte Demonstration in der Geschichte des Wendlands: "Seid ihr sicher, dass ihr euch mit uns anlegen wollt?"
Blockadeaktion in Gorleben 2008

06.11.10 - Mit mehrstündiger Verspätung passierte der Zug mit elf Atommüllbehältern heute die deutsch-französische Grenze bei Kehl. Bereits kurz nach dem Start im Nordwesten Frankreichs war er drei Stunden durch Umweltaktivisten aufgehalten worden, die sich ans Gleis gekettet hatten. Rund 2.000 Demonstranten aus dem ganzen südwestdeutschen Raum besetzten nach einer Kundgebung und Demonstration anschließend die Strecke am französisch-deutschen Grenzbahnhof in Berg (westlich von Karlsruhe). Obwohl die Polizei begann, die Castor-Gegner vom Gleis zu zerren, musste der Castor-Zug auf Richtung Kehl umgeleitet werden.

Über 50.000 Menschen nahmen nach Angaben der Veranstalter an der bisher größten Kundgebung im Wendland teil. Ein nichtabreißender Strom von Menschen hatte zuvor die Menge immer mehr anschwellen lassen. Mit mehr als 400 Bussen waren sie aus dem ganzen Bundesgebiet angereist. Das Spektrum der Teilnehmer war sehr breit, viele Jugendliche prägten das Bild. Auch zahlreiche Künstler und Prominente unterstützten den Protest. "Solidarität aus Stuttgart - Rote Karte für Atomkraft", stand auf einem der Schilder und Transparente mehrerer hundert angereister "Stuttgart 21"-Gegner - was zeigt, dass sich die gegenwärtigen Kulminationspunkte massenhaften Widerstands in Deutschland zu vereinigen beginnen.

Von Klein-Gusborn aus war ein Demonstrationszug der Bäuerlichen Notgemeinschaft mit rund 600 Traktoren gestartet. Die Bauern aus der Region wurden von Landwirten aus anderen Teilen Niedersachsens sowie aus Schleswig-Holstein unterstützt. Mit rund 250 Traktoren blockierten sie anschließend eine Landstraße zwischen Dannenberg und Gorleben, eine von zwei Transportwegen ganz am Ende des Castor-Transports, nachdem die Behälter von der Schiene auf Lastwagen geladen worden sind.

In vielen Diskussionen, aber auch Redebeiträgen während der Kundgebung wurde ein gewachsenes Selbstbewusstsein der Anti-AKW-Gegner deutlich, aber auch ein zunehmendes Selbstverständnis, sich als Teil des gesamten Widerstands gegen die Regierungspolitik zu sehen. Luise Neumann-Cosel von der Organisation "x-tausendmal quer" rief von der Tribüne aus der Berliner Regierung zu: "Schaut euch ruhig mal um! Seid ihr sicher, dass ihr euch mit uns anlegen wollt? Gegen unsere Lebendigkeit kommt ihr nicht an. Dieser Konflikt fliegt euch um die Ohren."

Nervös macht die Regierung vor allem die zunehmende Tendenz des Übergangs zum aktiven Widerstand. Mehrfach waren schon in den Vortagen Blockadeaktionen gewaltsam von der Polizei aufgelöst worden, so unter anderem ein Laternenumzug von 150 Menschen, die die Bundesstraße 216 blockiert hatten. Bundeskanzlerin Merkel erteilte den Demonstranten persönlich eine Lektion in "Staatsbürgerkunde". Demonstrieren sei "eine der schönsten Freiheiten". Dies müsse aber "friedlich" bleiben und was so "harmlos" daherkomme, wie das sogenannte "Entschottern", sei "keine friedliche Demonstration, sondern eine Straftat".

Sobald der Widerstand Massencharakter annimmt und sich die "Freiheit" nimmt, den volksfeindlichen Plänen der Herrschenden tatsächlich gefährlich zu werden statt symbolisch zu bleiben, ist es also aus mit der "schönen Freiheit" des Demonstrierens. Das haben zuletzt schon die "Stuttgart 21"-Gegner zu spüren bekommen. Es ist die offen zutage tretende Diktatur der Monopole, die wie auch in Stuttgart von immer mehr Menschen verarbeitet wird und ins Zentrum ihres Protests rückt.

Ein Korrespondent berichtete um 15.00 Uhr telefonisch an "rf-news": "Es sind jetzt ungefähr 50.000 Leute hier auf der großen Wiese, deutlich mehr, als erwartet. Unser Einsatz mit dem Klimaschutzprogramm der MLPD und der aktuellen "Roten Fahne" stößt auf lebhaftes Interesse. Man kann wirklich sagen, dass sich hier enorm was getan hat, was die Offenheit der Leute aus dieser Bewegung gegenüber dem aktiven Widerstand und dem echten Sozialismus betrifft."

Die Proteste und Blockadeaktionen gegen die Castor-Transporte werden heute und an den nächsten Tagen weiter gehen. Vor allem am morgigen Sonntag, wenn die Castor-Behälter vom Zug verladen werden sollen, sind massive Blockaden geplant. "rf-news" wird weiter berichten. Mehr zum Thema gibt es auch in der aktuellen "Roten Fahne" (sie kann hier bestellt werden).