Politik

100.000 bei kämpferischen Demonstrationen: "Das ist erst ein Auftakt!"

100.000 bei kämpferischen Demonstrationen: "Das ist erst ein Auftakt!"
Bild von der Demonstration in Stuttgart

13.11.10 - In Erfurt, Dortmund, Nürnberg und Stuttgart gab es heute große Demonstrationen, die der DGB im Rahmen des heißen Herbstes organisiert hatte. Ein zentrales Thema war überall die "Rente mit 67", aber auch sehr viele andere Forderungen wurden auf die Straßen getragen: gegen die Schlechterstellung von Leiharbeitern, für ein richtiges Streikrecht, für die Übernahme der Azubis, gegen die Regierungspolitik ... Von überall wird berichtet, dass auffallend viele Delegationen aus Betrieben zu sehen waren, die sich mit Transparenten und Schildern, teilweise auch mit Arbeitskleidung zu erkennen gaben – Zeichen eines wachsenden, kämpferischen Selbstbewusstseins.

Aus Dortmund berichtet ein Korrespondent: "Über 15.000 Teilnehmer kamen in der Dortmunder Westfalenhalle zusammen. Großen Beifall gab es für die Begrüßung des neuen DGB-Landesvositzenden Meyer-Lauber: 'Es wird Zeit, dass es mal richtig knallt in dieser Republik'. 5.000 der Teilnehmer hatten zum Auftakt trotz strömendem Regen eindrucksvoll vom Hauptbahnhof durch die Dortmunder Innenstadt demonstriert. Es wären noch weit mehr gewesen, wenn die Busse der meisten Verwaltungsstellen nicht direkt zur Halle geleitet worden wären. Es war beschämend, dass die DGB-Führung ursprünglich eine reine Saalveranstaltung durchführen wollte.

Kämpferische Gewerkschafter um die Initiative der 'Dortmunder Erklärung' und der IGM-Vertrauenskörper von Ford Köln hatten die Demonstration durchgesetzt. Allein 1.000 Kolleginnen und Kollegen waren von Ford und seinen Zulieferbetrieben zur Demonstration gekommen. Sie brachten zum Ausdruck, welche Kraft in den Gewerkschaften als Kampforganisation steckt. Ein Vertrauensmann am offenen Mikrofon: 'Ich bin stolz, dass wir uns nicht in die Halle verkrochen haben. Die vielen Leute auf der Straße machen Mut – das ist erst ein Auftakt.'

Hier trafen sich Automobilarbeiterinnen und Automobilarbeiter nicht nur von Ford, sondern auch von Daimler Düsseldorf und Opel Bochum, Stahlwerker aus Duisburg, Dortmund, Krefeld und Witten, Beschäftigte von Conti, die im Kampf um ihre Arbeitsplätze stehen. Hundert Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter waren über zwei Tage im Regen mit einem Fahrradkorso von Lippstadt und Hamm hergeradelt und bekamen für diesen Einsatz und ihre Hartnäckigkeit viel Beifall. Selbstbewusst sagten sie am offenen Mikrofon: 'Wenn es sein muss, radeln wir auch nach Berlin!'

Bergleute protestierten mit ihrer Initiative 'Kumpel für AUF' gegen drohende Zechenschließungen und 'Kumpel für AUF' rief zusammen mit dem Jugendverband REBELL zu einem Protesttag gegen die Entlassungen von jungen Kumpels auf. Frauen vom Frauenverband Courage warben für die Weltkonferenz der Basisfrauen im März 2011 in Venezuela. Viele verschiedene Parteien und Organisationen waren zu sehen. Die weltweite Verbundenheit der Werktätigen kam auch dadurch zum Ausdruck, dass immer wieder die 'Internationale' gesungen wurde.

Als einzige Partei baute die MLPD einen Stand vor der Halle auf und wurde dabei auch von DGB-Ordnern freundschaftlich begrüßt. Eine kurze Auseinandersetzung mit den Verantwortlichen des DGB gab es um das offene Mikrofon der MLPD vor der Westfalenhalle. Das Recht auf Meinungsfreiheit wurde verteidigt, die ankommenden Demonstranten gebührend begrüßt.

Der Ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske hielt eine gute, kämpferische Rede, in der er auch dafür eintrat, für unsere Forderungen zu streiken und Stellung bezog: Den Kapitalismus muss man abschaffen. Im Gegensatz dazu haben die Vertreter der IGBCE kein Wort zum Kampf verloren, sondern sich auf Appelle an die Regierung beschränkt und die Zechenstilllegungen letztlich akzeptiert. Wir von der MLPD setzten in den Auseinandersetzungen einen besonderen Akzent darauf, über die Alternative, den echten Sozialismus zu diskutieren."

Die größte Demonstration mit 45.000 Teilnehmern fand in Stuttgart statt. Ein Korrespondent berichtet: "Es war ein Meer von Fahnen, Transparenten und Schildern. Ca. die Hälfte der Leute trug Buttons gegen 'Stuttgart 21'. Gut sichtbar war auch die MLPD mit zwei großen Ballons, mit Transparenten und Plakaten. Berthold Huber war der Hauptredner bei der Kundgebung. Als er sagte 'Angela Merkel sucht den Herbst der Entscheidungen', kam von unten der Chor: 'Kann sie haben!' Aus der Menge hörte man auch den Slogan: 'Wir fahren nach Berlin!'

Die Kundgebung stand unter dem Motto 'Kurswechsel für ein besseres Leben'. In Gesprächen und beim Verkauf der 'Roten Fahne' fragten wir: 'Ist damit ein Zurück zur SPD gemeint? Die die Rente mit 67 beschlossen hat? Wir treten für die revolutionäre Richtung im heißen Herbst ein!' Auch unter SPD-Anhängern gab es dazu Zustimmung. Überhaupt waren die Auseinandersetzungen sehr kameradschaftlich, oft verabschiedete man sich mit Handschlag voneinander, auch bei unterschiedlichen Meinungen."

In Erfurt demonstrierten in einem Sternmarsch 6.000 Leute aus Nordhessen und Thüringen. Unser Korrespondent: "Ost und West waren gemeinsam auf der Straße, das war sehr gut. Es waren viel mehr Betriebsdelegationen zu sehen als z.B. noch am 6. November in Hannover. Vom Generatorenwerk Siemens in Erfurt waren z.B. 120 Kollegen da, 250 Kollegen mit ihren Familien waren von Opel Eisenach dabei, zwei Busse kamen von VW Kassel, drei von Daimler Kassel, Montagsdemos von Ilmenau, Suhl, Gotha, Erfurt und Eisenach demonstrierten mit. Auch viel Jugend war zu sehen. Relativ viele Kollegen kannten schon die MLPD, wir haben sehr viele Flugblätter verteilt und 'Rote Fahnen' verkauft."

In Nürnberg zogen 30.000 Demonstranten in vier Säulen bei einem Sternmarsch zum Kornmarkt. Erwartet worden waren 20.000 – also viel weniger. Auch dort fielen starke Delegationen aus Großbetrieben auf: von Audi Ingolstadt waren 28 Busse gekommen, von BMW München elf. Aus allen Landesteilen Bayerns waren Leute da. Ein Korrespondent: "Die Demonstration war sehr kämpferisch. Hauptthema war die Rente mit 67, aber auch die Schlechterstellung von Leiharbeitern wurde vehement kritisiert. Angegriffen wurde in den Reden auch die Regierung, dass sie den Banken Milliarden zugeschustert hat, aber für die Rentner kein Geld da ist; angegriffen wurde der Dauergrinser Rösler mit seiner Gesundheitsreform; und die Unternehmen, die jetzt über den Facharbeitermangel jammern, den sie doch selbst verursacht haben, weil sie nicht ausbilden! Viele Jugendliche waren bei der Demo dabei mit den T-Shirts zur 'Operation Übernahme'."

Von allen Demonstrationen wird berichtet, dass vor allem die kämpferischen Töne viel Beifall erhielten. Gleichzeitig war überall ein Thema: Wie soll es weitergehen? Denn davon war bei den Rednern der Gewerkschaftsführung überwiegend Nebulöses zu hören, Forderungen nach einer "anderen Politik" usw. Hier soll offensichtlich auf die SPD orientiert werden. Viele Kollegen waren darüber enttäuscht.

Der Richtungsstreit, welchen Weg die Gewerkschaften gehen sollen, kam an diesem Tag auch zum Ausdruck. In Dortmund zum Beispiel stand auf einem selbst gemachten Schild: "Schluss mit dem Schmusekurs - für Solidarität und Klassenkampf!" Und unser Münchner Korrespondent berichtet: "Bei der Fahrt von München nach Nürnberg hat der halbe Bus heute die Dortmunder Erklärung (das ist eine Initiative für kämpferische Gewerkschaften) unterschrieben. Es gibt ein sehr großes Interesse an kämpferischen Gewerkschaften."