Politik

"Runder Tisch" zur Heimerziehung speist Opfer mit Almosen ab

15.12.10 - Bis zu 800.000 Kinder und Jugendliche wurden in den 1950er bis 1970er Jahre Opfer vielfach systematischer Misshandlungen, sexuellen Missbrauchs und Zwangsarbeit in staatlichen oder kirchlichen Heimen. Nach jahrzehntelanger Tabuisierung der oft lebenslang prägenden Leiden sah sich der Bundestag nach Protesten ehemaliger Heimkinder im Februar 2009 genötigt, einen "Runden Tisch" einzurichten. Unter dem Vorsitz der Theologin und ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne) sollten Misshandlung und Ausbeutung in den Heimen aufgeklärt und über Entschädigungen verhandelt werden. Was außer starken Sprüchen herausgekommen ist, ist mehr als beschämend.

Ganze 120 Millionen Euro sollen von Kirchen und anderen Trägern in einen Fonds eingezahlt werden. Nach individuellen Anträgen kämen so gerade einmal 3.000 bis 4.000 Euro pro Opfer heraus. Diese hatten eine deutlich höhere Entschädigung und beispielsweise eine Rente von wenigstens 300 Euro monatlich gefordert.

Während einige Vertreter der Opferorganisationen dem Deal zustimmten, erklärte die Vorsitzende des Vereins ehemaliger Heimkinder, Monika Tschapek-Güntner, die Zustimmung sei "erpresst worden", nach dem Motto, sonst keinerlei Entschädigung zu erhalten. Vor allem ist sie darüber empört, dass in dem Abkommen die Verbrechen an hunderttausenden Kindern und Jugendlichen darauf reduziert werden, dass es "viele Orte des Bösen" gegeben habe, statt davon zu sprechen, dass die es sich um ein "Unrechtssystem" gehandelt hat.

Neben Kriegswaisen wurden damals nicht eheliche Kinder teilweise schon bei der Geburt ihren Müttern abgenommen, Jugendliche wurden bei der Scheidung der Eltern oder beim geringsten rebellischen Verhalten ins Heim gesteckt. Ihre Erziehung hatte das erklärte Ziel, bei den Kindern und Jugendlichen den eigenen Willen zu brechen und sie zu unterwürfigen Untertanen zu deformieren. Dazu waren Prügel, Folter und systematische Demütigungen an der Tagesordnung. Das Ausmaß sexueller Gewalt besonders in katholischen Einrichtungen wurde in den letzten Monaten mehr und mehr bekannt. Nach außen hatte ein "Heimkind" für den Rest seines Lebens mit einem nicht zu tilgenden, beschämenden Makel zu schweigen.

Der kleinbürgerliche Antiautoritarismus der 1968er-Bewegung war auch die spontane Reaktion auf diese "schwarze Pädagogik". Erst später wurden seine Auffassungen in das System der kleinbürgerlichen Denkweise zur Aufrechterhaltung des herrschenden staatsmonopolistischen Kapitalismus integriert und zur Leitlinie der bürgerlichen Pädagogik erhoben. Den Opfern der damaligen Heimerziehung gebührt Solidarität und Respekt in ihrem Kampf für eine angemessene Entschädigung. Die Täterinnen und Täter - so sie noch leben - und die verantwortlichen Institutionen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.