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Estland tritt der Euro-(Zone)Krise bei

02.01.11 - Seit dem gestrigen 1. Januar 2011 hat die Eurozone mit Estland ein neues - das siebzehnte - Mitglied. Medienwirksam zog Ministerpräsident Andrus Ansip einen 20-Euro-Schein aus dem Geldautomaten und EU-Währungskommissar Olli Rehn lobte den "baltischen Musterschüler" und sagte, dieser habe für seine solide Finanzpolitik die Belohnung Euroeinführung verdient. Das durch die Weltwirtschafts- und Finanzkrise gebeutelte Estland, das 1,3 Millionen Einwohner hat, trägt allerdings allenfalls psychologisch zur Euro-Zuversicht bei; wirtschaftlich ist es mit einem Anteil von 0,2 Prozent am 8,9-Billionen-Euro-Volumen ein winziger Zwerg.

Estlands Bruttoinlandsprodukt war 2009 um fast 14 Prozent eingebrochen, die Arbeitslosigkeit hat sich auf über 15 Prozent verdreifacht. Niedriges Haushaltsdefizit und eine Staatsverschuldung von 7,2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt erreichte das Land, indem seine Regierung im Auftrag von EU-Kommission und IWF die Massen wie Zitronen ausquetscht. Allein die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst wurden im vergangenen Jahr um 30 Prozent gekürzt, mancherorts wird von 40prozentigen Lohneinbußen gesprochen. Im Ölschiefer-Bergbaugebiet im Osten Estlands ist die Euro-Einführung mit Lohnsenkungen verbunden, die Massensteuern wurden erhöht, der Milchpreis stieg von 50 auf 62 Euro-Cent und der Preis für Buchweizen, eines der Hauptnahrungsmittel, hat sich verdoppelt.

Die Meinung des Präsidenten der EU-Kommission, José Manuel Barroso, der Beitritt Estlands sei ein "starkes Signal für die Attraktivität des Euro und die Stabilität, die dieser den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bringe", teilen viele EU-Länder nicht. Denn eigentlich sind alle zwölf Staaten, die der Union seit 2004 beigetreten sind, verpflichtet, den Euro einzuführen. Der Vertrag von Lissabon hat dafür jedoch wohlweislich keinen Termin genannt. Den Euro eingeführt haben bisher die Slowakei, Slowenien, Malta, Zypern und nunmehr Estland; ein Teil der restlichen sieben Länder pfeifen vorläufig auf die neue Währung, so Tschechien und Polen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy machten in ihren Neujahrsansprachen gewaltig Reklame für den Euro und gebärden sich als Wohltäter Europas. "Der Untergang des Euro wäre das Ende Europas", sagte Sarkozy. In Wahrheit geht es ihnen in keiner Weise um das Wohlergehen der Menschen in  Europa. Der eigene imperialistische Führungsanspruch der großen EU-Länder gegenüber dem Hauptkonkurrenten USA und anderen Großmächten erforderte das EU-Bündnis. Von Beginn an hatten darin die kleinen Länder nichts zu melden. Seit Beginn der Euro-Krise diktiert die EU-Kommission die komplette Politik der Abwälzung der Krisenlasten in Griechenland, Portugal, Spanien und Irland.  

Europas "große Bewährungsprobe" (Merkel) ist der schwierige Versuch, im Interesse der Profite von Banken und Monopolen aus der Euro-Krise herauszukommen. Der Spielraum dafür ist erheblich eingeengt. Durch die milliardenschweren staatlichen Konjunkturprogramme und sogenannten Rettungsschirme für Konzerne und Banken ist die Staatsverschuldung weltweit immens gestiegen. Die Staatsdefizite in der OECD haben sich seit 2007 fast versiebenfacht und in der Eurozone sogar verzwölffacht. Laut Deutscher Bundesbank betragen die Staatsschulden in Prozent des Bruttoinlandesproduktes in Italien 118 Prozent, in Griechenland 130 Prozent, in Portugal 83 Prozent, in Frankreich 84 Prozent und in Deutschland 75 Prozent. Die Kredite, die Irland von der EU und dem Internationalen Währungsfonds zur Verhinderung des finanziellen Kollaps bekam, sollen mit einem Zinssatz von 5,6 Prozent zurückgezahlt werden, was wiederum ein wohlfeiles Geschäft für Banken und Spekulanten ist.

Auf diesem Hintergrund sind Merkels Neujahrsworte zu sehen, dass Deutschland aus den "Turbulenzen der Krise sogar gestärkt hervorgegangen" sei: nach Einschätzung von Allianz Global Investors (AGI) profitieren die deutschen Banken auf lange Sicht am stärksten von der europäischen Schuldenkrise. "Wer sich selbst am Anleihemarkt für knapp drei Prozent refinanziere und an Krisenländer wie Griechenland und Irland Kredite zu einem Zinssatz von 5,8 Prozent weiterreiche, könne jedoch ordentliche Gewinne einstreichen."

Die Gefahr von Staatsbankrotten ist keineswegs gebannt. Mit allen Mitteln werden jetzt überall die Krisenlasten auf die breiten Massen abgewälzt. In seinem Interview mit der "Roten Fahne" führt der Parteivorsitzende der MLPD, Stefan Engel, hierzu aus:

"Das wird zum Teil sehr unterschiedlich begründet, ist aber der gemeinsame Kern der ­sogenannten 'Sparmaßnahmen', die eine Verschärfung der Klassenwidersprüche im internationalen Maßstab nach sich ziehen. Das ist ein Spiel mit dem Feuer, weil es die latente politische Krise verschärft, offene politische Krisen auslöst und auch zu einer Belebung der Kämpfe der Arbeiterklasse, des aktiven Volkswiderstands und der Rebellion der Jugend geführt hat. Das geht insgesamt auch mit einer verstärkten Kapitalismuskritik und Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative einher."