Wirtschaft

3,2 Millionen Arbeitslose - für Wirtschaftsminister Brüderle Vollbeschäftigung?

05.01.11 - Angesichts der gestern veröffentlichten aktuellen Arbeitslosenzahlen sieht Bundeswirtschaftsminister Brüderle "das Ziel der Vollbeschäftigung in realistischer Reichweite". Offiziell stieg die Arbeitslosigkeit im Dezember um 85.000 auf 3.016.000. Die Entwicklung 2010 wird als Erfolgsbilanz der Bundesregierung und 2010 als das beste Jahr seit Anfang der 1990er Jahre gepriesen. Die Quote sank im Jahresschnitt von 8,2 Prozent auf 7,7 Prozent. Im Schnitt waren offiziell 3,244 Millionen Männer und Frauen ohne Arbeit, 179.000 weniger als 2009.

Wenn man sich die gesamte Entwicklung genauer und detaillierter anschaut, kommt man zu einem anderen Ergebnis. Mit 28,28 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten gibt es zwar knapp 500.000 mehr wie im Jahr zuvor. Verschwiegen oder lediglich "als in der Struktur nicht ganz befriedigend" (BA-Chef Frank-Jürgen Weise im ZDF) bezeichnet wird, dass diese Arbeitsplätze zum großen Teil Leiharbeitsplätze oder Teilzeitstellen sind. Real stagnieren die Einnahmen der gesetzlichen Sozialversicherung. Die Zahl der Leiharbeiter stieg 2010 um über 330.000 auf einen höheren Stand als vor der Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Zugleich wurden allein in der Industrie in der gleichen Zeit 136.000 Vollzeit- und Festarbeitsplätze abgebaut.

Gegenüber Anfang der 1990er Jahre ist das Arbeitsvolumen der Gesamtbeschäftigten in der BRD von 52 Milliarden Arbeitsstunden auf 48 Milliarden Arbeitsstunden eindeutig geschrumpft und nicht gestiegen, wie es zurückgehende Arbeitslosenzahlen vermuten lassen. Das eigentliche Problem hinter dem angeblichen "Arbeitsmarktwunder" ist also eine wachsende Unterbeschäftigung.

Allerdings sind zwischen 2005 und 2010 auch 800.000 mehr ältere Beschäftigte aus dem Berufsleben ausgeschieden als jüngere nachgerückt sind. Es kann durchaus dazu kommen, führt der MLPD-Vorsitzende Stefan Engel im "Rote Fahne"-Interview vom 21.12.10 aus, "dass in den nächsten Jahren aufgrund dieser Entwicklung sogar in bestimmten Bereichen ein Arbeitskräfteengpass entsteht, zumal auch viele Monopole ihre Kosten für die Berufsausbildung weiter verkürzt haben. Dies wiederum wird von den Monopolen in der Industrie als willkommener Anlass genutzt, insbesondere billige Arbeitskräfte aus anderen EU-Ländern anzuwerben, um das allgemeine Lohn­niveau weiter zu drücken."

DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki wies darauf hin, dass rund 1,4 Millionen Arbeitslose in der Statistik nicht auftauchen, weil sie sich in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen befinden. Längerfristige Perspektiven ergeben sich daraus nur selten. Auch Florian Fichtner, Konjunkturexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), weist darauf hin, dass Änderungen bei der Statistik dafür verantwortlich sind, dass die offizielle Zahl der Arbeitslosen so stark gesunken sei. So werden z.B. Arbeitslose, die von privaten Arbeitsvermittlern betreut werden, einfach aus den Übersichten gestrichen. Arbeitslos sind sie dadurch keinen Deut weniger. "Ohne diese Veränderung der Statistik würde die Zahl der Arbeitslosen noch um 150 000 über dem Vorkrisenwert liegen", sagt Fichtner.