Umwelt

Brüderles "Benzingipel" ging aus wie das Hornberger Schießen

10.03.11 - Viele Autofahrer sind verunsichert und empört. Können sie bedenkenlos den neuen Kraftstoff E10 tanken oder nicht? Die Richtlinie 2009/30/EG des Europäischen Parlaments verlangt von allen Mitgliedsstaaten, ab Jahresbeginn, dem Benzin zwischen 5 und 10 Prozent Bioethanol beizumengen. Für Fahrzeuge, die diese Sorte nicht vertragen, muss laut der Richtlinie mindestens bis 2013 das bisherige Benzin als sogenannte Bestandsschutzsorte weiterhin angeboten werden. Was danach sein soll, weiß bisher keiner.

E10 wird in Deutschland überwiegend aus Weizen und Zuckerrüben gewonnen, in Brasilien aus Zuckerrohr und in den Vereinigten Staaten aus Mais. Dieses schönfärberisch auch "Biosprit" genannte Gemisch wird von der Berliner Regierung als der neueste Umweltschlager verkauft, es soll die Abhängigkeit der EU von Mineralölexporten aus Krisengebieten verringern und vor allem würde die Verwendung von E10 die CO2-Belastung der Atmosphäre verringern.

Das ist eine raffinierte Lüge. "faz-net" vom 20. Dezember letzten Jahres berief sich auf das Londoner Institut für europäische Umweltpolitik (IEEP): "Bis 2020 müssten für dessen Erzeugung global bis zu 69.000 Quadratkilometer Ackerland für den Anbau der Ausgangsmaterialien kultiviert werden, eine doppelt so große Fläche wie Belgien. Allein dadurch, so die IEEP-Studie, würden 56 Millionen Tonnen Kohlendioxid zusätzlich erzeugt. Das ist deutlich mehr, als das Tanken von Biosprit einsparen würde."

Nach Angaben der Ernährungswissenschaftlerin Sabine Weick von PETA (Tierrechtsorganisation Deutschland e.V.) steckt in einer Tankfüllung E10 so viel Getreide, dass damit 33 Kinder ernährt werden könnten. So wirke sich die E10-Produktion negativ auf die Versorgung der Weltbevölkerung mit Getreide aus. Die Umweltorganisation "BUND" kritisiert: Das Anlegen von Großplantagen zur Produktion von Energiepflanzen gehe außerdem mit "Landraub" in den Entwicklungsländern einher und zerstöre dort die bäuerlichen Existenzen. die Verringerung des Nahrungsmittelangebots ist heute eine der Ursachen für die eplodierenden Weltmarktpreise und die Hungerrevolten in vielen Ländern Afrikas und Asiens.

Weiterhin ist nicht erwiesen, ob die Abgase hochgiftige Zyanverbindungen freisetzen. Bisher gibt es keine verlässliche Studie, für welche Autos das Gemisch überhaupt verträglich ist. Während die Berliner Regierung sich mit der Einführung brüstet und alle Bedenken zurückwies, lehnt die schleswig-holsteinische Landesregierung das Tanken mit E10 für die eigene Fahrzeugflotte ihrer Bediensteten, einschließlich Polizei, ab. Agrarkonzerne bejubeln die Richtlinie, Mineralölkonzerne wettern gegen die Unlauterbarkeit der angeblichen Umweltvorteile des Biosprits gegenüber herkömmlichem Benzin aus Erdöl. Unter den führenden Autoherstellern gibt es unterschiedliche Veröffentlichungen. Tankstellennetz-Betreiber hatten schon letztes Jahr ihren Pächtern gedroht, Auskünfte zu erteilen, weil sie bei Schäden an Autos persönlich zur Kasse gebeten werden würden. Ein einziges Chaos.

Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hat dazu einen "Benzingipfel" mit Vertretern der Regierung, der Automobilindustrie, der Mineralölindustrie und weiterer Verbände einberufen. Dort sollte eine 20-Millionen-Werbekampagne vereinbart werden. Keiner war bereit, dafür zu blechen und der Gipfel ging aus wie das Hornberger Schießen. Das Chaos ist aber nicht wegen des Informationsmangels. Die Frage ist, warum wird nicht richtig informiert? Weil anhand der Einführung des E10 massive Konkurrenz quer durch die Konzerne und ihre Verbände zum Ausdruck kommt, die auch eine Vorgeschichte hat.

Die Einführung von E10 geht auf einen Deal der Großen Koalition aus dem Jahre 2005 zurück. Deutschen Autokonzernen sollte damit die Hand gereicht werden, vordergündig ihr Versprechen einzuhalten, Sorge zu tragen, dass der CO2-Ausstoß durch den PKW-Verkehr verringert wird. Natürlich ohne dass dies wesentlich ihre Maximalprofite gefährdet. Das war vor der Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Jetzt unter dem verschärftem Konkurrenzkampf gehen die Auto- und Ölkonzerne mit ihren Versprechungen nach dem Motto um: "Was kümmert uns unser Geschwätz von gestern."

Die heutige Ausgabe der "taz" zitiert Michael Müller, jetzt Chef des Umweltverbandes "Naturfreunde" und zu Zeiten des E10-Deals parlamentarischer Staatssekretär im SPD-Umweltministerium unter Sigmar Gabriel. Er nennt E10 "eine Geschichte der Tricks und Täuschungen". Die Beimischung ziele "nicht auf den Klimaschutz, sondern hat viel zu tun mit der Weigerung der Autoindustrie, sich für mehr Klimaschutz zu engagieren".

Damit ist ein weiteres Betrugsmanöver des imperialistischen Ökologismus der Regierung geplatzt, wonach sie als angeblicher Vorreiter des europäischen Umweltschutzes Ökologie und Ökonomie vereinbaren würde. Ein Argument mehr, dass der Kampf zur Rettung der Umwelt vor der Profitgier durch den härtesten weltweiten Widerstand notwendiger denn je ist.