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Zehntausende gehen trotz Demonstrationsverbot in Spanien auf die Straße: "Das Problem ist das System"

21.05.11 - Seit letztem Sonntag versammeln sich tausende vorwiegend junge Menschen zum Protest auf der "Puerta del Sol", dem berühmtesten Platz Madrids. Sie campieren dort und lassen sich auch von Regen und schlechtem Wetter nicht vertreiben. Die Proteste richten insbesondere gegen die in Spanien bei 45 Prozent liegende Jugendarbeitslosigkeit, aber auch gegen den von der EU erpressten drastischen Abbau sozialer Leistungen, die geplante Kürzung von Beamtengehältern, das Einfrieren der Renten und die Erleichterung von Kündigungen. Sie verbinden sich aber auch zunehmend mit einer Massendiskussion über das gesamte kapitalistische System und seine bürgerlich-demokratische Fassade. So ruft die Protestbewegung, die längst auch das ganze Land erfasst hat, unter dem Motto "Echte Demokratie - jetzt!" auch zum aktiven Boykott der am Sonntag statt findenden Kommunal- und Regionalwahlen auf.

Gestern hatte die spanische Wahlbehörde alle Demonstrationen an diesem Wochenende verboten. Das Verbot erreichte aber genau das Gegenteil. Auf zahlreichen der landesweit 60 Protestcamps auf öffentlichen Plätzen beschlossen die meist jugendlichen Teilnehmer die Fortführung der Proteste, die bereits an sechs Abenden in Folge zehntausende mobilisierten. So fanden am heutigen Samstag insgesamt 150 Kundgebungen statt und auch in anderen Ländern waren Kundgebungen vor spanischen Botschaften geplant. Erneut demonstrierten in Madrid mindestens 25.000 Menschen und weitere Zehntausende im ganzen Land.

Die spanische Regierung unter Ministerpräsidenten Zapatero hatte erklärt, man wolle auf eine Durchsetzung des Verbots verzichten, "um eine Eskalation zu vermeiden". Das zeigt ihre tiefe politische Defensive. Es ist jedoch Wachsamkeit vor Provokationen geboten, da dies nur gelten soll, solange die Proteste "friedlich" bleiben.

Die Weltwirtschafts- und Finanzkrise traf Spanien besonders hart. Eine  gigantische Immobilienblase platzte. Die junge Generation wird schon die "Generation, ni, ni" genannt, was so viel bedeutet wie: "Die Generation, die nicht arbeitet und nicht studiert". Allerdings will sich die Masse der jungen Arbeiter, Angestellten, Akademiker und Arbeitslosen immer weniger damit abfinden. Nicht umsonst besetzten in der letzten Woche 200 Jugendliche in Valencia auch den Hauptsitz einer Bank. "Wir wollen nicht Ware für die Banken sein", ist eine Hauptlosung der Proteste.

Die Proteste in Spanien orientieren sich bewusst an den demokratischen Aufstandsbewegungen in den nordafrikanischen und arabischen Ländern und sind ein Bestandteil der länderübergreifenden revolutionären Gärung im Mittelmeerraum. Die spanischen Demonstranten übernehmen nun ihrerseits Kampfformen wie die dauerhafte Besetzung öffentlicher Plätze. Das bestätigt eindrucksvoll, dass sich dies Gärung keineswegs auf die nordafrikanischen Länder beschränkt, zumal die Impulse für die demokratischen Aufstände dort bereits maßgeblich von den Protesten in den südeuropäischen Ländern und Frankreich ausgingen. Nun wirken diese wiederum auf Europa zurück und treiben den länderübergreifenden Lernprozess der Kämpfe international voran.

In dem Buch "Morgenröte der Internationalen Sozialistischen Revolution" wird diese Entwicklung so auf den Punkt gebracht: "Wie weit dieser neu einsetzende Prozess der länderübergreifenden revolutionären Gärung im Mittelraum gehen und wie viele Länder er erfassen wird, kann an dieser Stelle niemand vorraussagen. Fest steht nur, dass er schlagartig das Potential einer revolutionären Weltkrise offentsichtlich machte, das sich auf dem Boden der Weltwirtschafts- und Finanzkrise seit 2008 herausgebildet hat." (S. 547/548)

Wenn die Massenbewegung in Spanien sich nun "spanische Revolution" nennt oder genannt wird, so zeigt dies vor allem, dass die Debatte über einen gesellschaftlichen Ausweg aus der kapitalistischen Misere in vollem Gange ist, auch wenn die Demonstrationen selbst noch keinen gesellschaftsverändernden Charakter haben. Ein weit verbreitetes Plakat bringt die Diskussion auf den Begriff: "Das Problem ist nicht, wer regiert, das Problem ist das System."