Umwelt

Energiekonzerne pochen auf "Eigentumsrecht" an atomaren Reststrommengen

20.06.11 - Selbst der faule Kompromiss der Merkel-Regierung zum "Atomausstieg" geht den großen Energiemonopolen zu weit. Nach Informationen des "Spiegel" wollen sie das in diesem Zusammenhang beschlossene Gesetzespaket vor dem Verfassungsgericht anfechten und zweistellige Milliardenbeträge als "Entschädigung" erstreiten. Dazu haben die Atomkonzerne mehrere internationale Anwaltskanzleien und Verfassungsrechtler engagiert.

In einem Gutachten, das unter Mitwirkung des ehemaligen Bundesministers Rupert Scholz (CDU) entstand, wird den Monopolen unter Berufung auf das Eigentumsrecht des Grundgesetzes der "Besitz" an den Reststrommengen zugesprochen, die ihnen aus dem "Atomausstiegs"-Gesetz von SPD und Grünen aus dem Jahr 2000 noch zustehen. Der nun beschlossene Stilllegungsplan bedeute eine Einschränkung des vom Grundgesetz geschützten Eigentums und sei deshalb verfassungswidrig.

Seit der Katastrophe von Fukushima und aufgrund der weltweiten Proteste waren die großen Energiekonzerne politisch weitgehend isoliert. Selbst ihre Vorstände trauten sich über Monate kaum, offen für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke einzutreten. Stück für Stück versuchen sie nun, wieder aus der Deckung zu kommen. Ihre dreiste Ankündigung beweist zweierlei: Erstens, dass Profitgier wirklich keine Schamgrenze kennt, und zweitens, welchen Charakter das Grundgesetz hat, das so eine Verfassungsklage überhaupt erst möglich macht.

Bei allen bürgerlich-demokratischen Zugeständnissen, die darin enthalten sind, ist und bleibt der Schutz des kapitalistischen Eigentums sein eigentlicher Kern. Es legitimiert damit zugleich die Diktatur der größten Kapitaleigner über die ganze Gesellschaft, ihr "Recht", sich über den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung hinwegzusetzen sowie die Gesundheit und das Leben von Millionen Menschen aufs Spiel zu setzen.

Ob sie damit durchkommen, steht auf einem anderen Blatt. Auch das Verfassungsgericht musste zuletzt immer wieder Zugeständnisse an soziale und demokratische Proteste machen. Wenn sich nun ausgerechnet die "schwarz-gelbe" Regierung als Verteidigerin des "Atomausstiegs" profiliert, ist das jedoch in erster Linie Heuchelei. Tatsächlich erlaubt auch das neue Gesetz den Konzernen noch über zehn Jahre Betrieb von Atomkraftwerken, Produktion von atomarem Müll, Gefährdung von Menschenleben und damit verbundene Maximalprofite.

Immer neue skandalöse Enthüllungen aus Japan unterstreichen, wie notwendig die sofortige Stilllegung der Atomkraftwerke auf der ganzen Welt ist. Die Betreiberfirma Tepco musste nun zugeben, dass bei dem Erdbeben in Fukushima am 11. März die Sicherheitsvorkehrungen völlig desorganisiert waren: Die Löschpumpe war defekt, Bedienungsanleitungen fehlten, Tore ließen sich nicht öffnen, Schutzkleidung musste erst kilometerweit herbei geschafft werden. In einem Gespräch mit "rf-news" erklärte Enats Goro von den "Allied Labor Unions of Independence" ("Vereinigte unabhängige Gewerkschaften") aus Japan, dass Tepco-Bosse und Regierung so miteinander verflochten sind, dass Kontrollen einfach nicht durchgeführt wurden. Weiter sagte er:

"Nach offiziellen Umfragen sind mittlerweile 82 Prozent der Japaner für den Atomausstieg, davon 20 Prozent für den sofortigen Ausstieg. Außer Arbeitern sind es jetzt vor allem Intellektuelle und religiöse Menschen, die sich gegen die Atomkraft wenden, nachdem sie am Anfang noch den Lügen geglaubt hatten. Am 11. Juni, drei Monate nach der Katastrophe waren in mehr als einem Dutzend Städte zehntausende Menschen auf der Straße. Allein die Demonstration in Tokio hatte 15.000 Teilnehmer. Es waren vor allem junge Leute und Mütter, die über die erhöhten Strahlen-Grenzwerte in Schulen empört sind. Wir bereiten in ganz Japan Großdemonstrationen für den 6. August, den Hiroshima-Tag, vor."