International
Griechische Regierung am Rücktritt vorbeigeschrammt - landesweite Massenproteste gehen weiter
22.06.11 - Nur mit knapper Not hat in Griechenland der sozialdemokratische Ministerpräsident Giorgos Papandreou in der Nacht zum 22. Juni ein Vertrauensvotum im Parlament überstanden. Während der Parlamentsdebatte skandierten die seit Tagen auf dem Syntagma-Platz in Athen demonstrierenden Menschen jedoch, dass sie keinen Pfifferling Vertrauen mehr in die Regierenden haben. Die seit Monaten anhaltende, offene politische Krise in Griechenland hat sich mittlerweile zu einer revolutionären Gärung weiter entwickelt.
Am 15. Juni fand nach dem 11. Mai bereits der zweite Generalstreik in kürzester Zeit statt. Gewerkschaften und Massenorganisationen rufen zu weiteren Blockaden auf. Täglich demonstrieren Zigtausende, auch in den kleineren Städten des Landes. Immer unübersehbarer wird, dass die drastischen "Sparprogramme", die als Vorleistung für weitere "Rettungsschirme" von IWF und EU verkauft werden, nur dazu dienen, die Massen noch mehr auszuplündern. Diese "Rettungs"-Milliarden – zulasten auch der Steuerzahler in den anderen europäischen Ländern – gewährleisten nur, dass die internationalen Banken und Konzerne ihre jahrelang spekulativ ausufernden Kredite an Griechenland samt horrender Zinsen fein säuberlich zurückerhalten.
Den breiten Massen in Griechenland wurde und wird damit nicht geholfen. Im Gegenteil. Mit Streichungen im Bildungs- und Gesundheitswesen, mit Lohn- und Rentenkürzungen, mit der Steigerung der Mehrwertsteuer auf mittlerweile 23 Prozent wird das Land immer tiefer in die Krise gedrückt. Die Arbeitslosigkeit schoss in die Höhe, die Industrieproduktion sackte noch weiter ab. Die immense Verschuldung dieses kleinen, von den großen EU-Imperialisten abhängigen kapitalistischen Landes wurde über Jahre hinweg systematisch hoch getrieben.
Davon haben vor allem das internationale Finanzkapital und nicht zuletzt deutsche Banken und Konzerne profitiert. Sie forcierten Megabauprojekte für die Olympiade 2004, abstrus hohe Rüstungskosten zugunsten der Nato, ließen das Außenhandelsdefizits ins Uferlose steigen, indem kleinere Betriebe in Griechenland in die Pleite getrieben und immer mehr Industriewaren eingeführt wurden. Auch die verbreitete Korruption hat hier ihre Wurzeln. Siemens, MAN und Co wurden längst überführt, dass und wie sie den Verkauf ihrer überteuerten Güter mit Riesensummen geschmiert haben – und dabei in Griechenland bei den Regierenden jedweder bürgerlichen Partei auch immer willfährige Handlanger fanden.
Jetzt soll die Privatisierung der noch verbliebenen staatlichen Unternehmensanteile und Betriebe - im Bereich der Telekommunikation, der Energieversorgung usw. - vorangetrieben werden. Und wieder stehen deutsche Konzerne in der Warteschlange für den Erwerb zum Schnäppchenpreis. Damit hätte der griechische Staat künftig aber so gut wie gar keine Einnahmen und souveränen Handlungsspielräume mehr. Und weil solche Privatisierungen zweifellos mit weiteren Massenentlassungen verbunden ist, rebellieren dagegen die Beschäftigten völlig zurecht.
Die akute Gefahr eines Staatsbankrotts ist mit den jüngsten Zusagen zu weiteren "Rettungsmilliarden" nicht aus der Welt. Ein Staatsbankrott würde wieder auf dem Rücken der Massen abgeladen werden, weil dann Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst gar nicht mehr gezahlt würden, Bildungs- und Gesundheitswesen mittellos da stünden, private Ersparnisse bei einer eventuell damit verbundenen Währungsreform verloren gingen.
Auch IWF und EU fürchten einen solchen Kollaps, weil das zu einem Dominoeffekt bei den anderen hoch verschuldeten Ländern führen und das höchst labile internationale Wirtschafts- und Finanzsystem in einen noch tieferen Krisenabgrund reißen könnte. Vor allem aber bangen sie um eine Ausweitung der Rebellion über den Mittelmeerraum und Griechenland hinaus zu einer revolutionären Weltkrise.
Die kämpfenden Massen in Griechenland tun gut daran, auf das Wohl und Wehe des kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftssystems keine Rücksicht mehr zu nehmen. Ihr Kampf für die Interessen der Masse der Bevölkerung, besonders der Jugend, und für den Erhalt der nationalen Souveränität verdient vollste Solidarität. Durch Aufklärungsarbeit über die Entwicklung der Kämpfe in Griechenland und ihre Hintergründe sowie durch die Organisierung eines gegenseitigen Lernprozesses - unter anderem zur Frage der sozialistischen Perspektive - können wir in Deutschland dazu einen Beitrag leisten.