Betrieb und Gewerkschaft

Ein Punktsieg gegen die Klassenzusammenarbeitspolitik auf dem IG-Metall-Gewerkschaftstag

11.10.11 – Auf dem 22. Gewerkschaftstag der IG Metall belebt sich die Debatte darum, ob die Gewerkschaft sich als starke Kampforganisation im Interesse ihrer Mitglieder positioniert oder die Rolle als Ordnungsfaktor im Krisenmanagement der Herrschenden ausüben soll. Heute hat die Richtung für die Kampforganisation einen bedeutenden Punktsieg errungen. In der Abstimmung über die Satzungsänderung für eine Verkleinerung des künftigen Vorstands von sieben auf fünf geschäftsführende Mitglieder hatte der 1. Vorsitzende Berthold Huber eine Schlappe erlitten und die erforderliche Zweidrittelmehrheit verfehlt. Dieses Ergebnis ist Ausdruck eines wachsenden Selbstbewusstseins derjenigen, für die die Gewerkschaft nicht nur Anhängsel des Vorstands, sondern eine kämpferische Kraft darstellen soll. Konsterniert ließ er den Gewerkschaftstag für zwei Stunden unterbrechen.

Diese Art von Richtungsentscheidung prägt den Gewerkschaftstag von Beginn an. So versuchte Bundespräsident Christian Wulff mit schwülstigen Worten am Sonntag die Delegierten und Gäste zu umgarnen und bedankte sich, dass die IG Metall die Krisenlasten als Beitrag zur Krisenbewältigung tragen wolle. Das ging sogar Berthold Huber zu weit. Delegierte fanden klarere Worte: "Wenn der Wulff uns lobt, müssen wir was falsch gemacht haben."

Gestern belebte sich dann die Diskussion bei der Behandlung des Geschäftsberichts des IGM-Vorstands. Bei seiner persönlichen Ergänzung dazu erhielt Hans-Jürgen Urban, Vorstandmitglied der IGM, viel Zustimmung, als er erklärte, dass heute "konfliktbereite Gewerkschaften" gebraucht würden und ein gesellschaftliches Modell, was das Leben von Millionen für die Profite der Reichen aufs Spiel setzt, keine Zukunft hat. Aber alle Redner des Vorstands vertraten als Grundhaltung: "Wir haben in Deutschland die Krise gut gemeistert, weil die Gewerkschaften miteinbezogen wurden ins Krisenmanagement." Durch mehr Mitbestimmung in Wirtschaft und Politik, durch stärkere Einbeziehung der Gewerkschaften in das Krisenmanagement soll eine neue "soziale Marktwirtschaft" geschaffen werden (Wetzel).

Danach ergriffen 23 Delegierte das Wort. Fünf davon setzten sich kritisch mit dieser Ausrichtung auf das Krisenmanagement auseinander. Diese erhielten deutlich mehr Beifall als die Beiträge, die nur zu einzelnen Punkten Ausführungen machten. Ein Delegierter kritisierte, dass viel zu schnell immer Rücksicht auf das Kapital genommen werde: Bei der Arbeitszeit, der Bildungspolitik, beim Lohn usw. könnte man doch alles andere als zufrieden sein! Die IGM-Führung weiche hier zu oft zurück. Die IGM müsse aber ausschließlich ihren Mitgliedern verpflichtet sein. Ein Delegierter dazu im Gespräch mit "rf-news": "Die Gewerkschaft ist nicht dafür da, leise zu treten!"

Ein Delegierter forderte, als IG Metall "klarer Kante zu zeigen" und selbstbewusst an offensiven Forderungen - wie "Nein zur Rente mit 67!" (VK-Leiter VW Baunatal) - festzuhalten, statt sie der Klassenzusammenarbeitspolitik zu opfern. Eine Delegierte von Opel/Eisenach griff die Verzichtspolitik an und berichtete über den Erfolg der Bochumer Opelaner im Kampf gegen die betriebsbedingten Kündigungen. Positionen, die über den Kapitalismus hinaus denken, müssten ihren Platz in der IG Metall haben. Ebenfalls viel Beifall gab es dafür, sich uneingeschränkt solidarisch zu erklären mit dem Kampf des griechischen Volkes. Auch in den Gängen kam es zu lebhaften Diskussionen.

Die Mehrheit der Delegierten spürt, dass an der Vorstandspolitik "einiges faul" ist. Auf diesem Hintergrund ist der Antrag der Spitze der IG Metall-Führung für eine Satzungsänderung, die eine Strukturreform einleiten sollte, durchgefallen. Entsprechend einem Geschäftsordnungsantrag, für den sich insgesamt rund 30 Prozent (20 Prozent wären erforderlich) aussprachen, wurde geheim abgestimmt.  Das war eine deutliche Kritik an dem Druck, der vorher auf Delegierte ausgeübt worden war, sie auf Vorstandslinie zu trimmen.

Von den 471 gültigen Stimmen der an der Abstimmung teilnehmenden Delegierten entfielen nur 305 auf Ja. 314 und damit 9 Stimmen mehr wären nötig gewesen. Es zeigte sich, dass es schon im Vorfeld erhebliche Widersprüche zu dem geplanten "Umbau" der Gewerkschaft gab. Auf der Bundesfrauenkonferenz der IGM vom 11. Mai gab es eine kontroverse Diskussion über das Ansinnen, dass der Vorstand zwei Stellen streichen will. Als eröffnet wurde, dass dann der 2. Vorsitzende Detlef Wetzel künftig im Vorstand für die Frauenarbeit zuständig sein sollte, gingen etliche Gewerkschafterinnen regelrecht auf die Barrikaden. Ein  Gewerkschaftsfunktionär der IG Metall erläuterte vor ein paar Wochen gegenüber "rf-news":

"Mit '2009' unter der Führung einer (kleiner werdenden) Vorstandsriege will man die Basis stärker an die Kandare nehmen und baut schleichend das demokratische Organisationsleben weiter ab, um die rechte Klassenzusammenarbeitspolitik fortzusetzen...  Eine wirkliche Information und demokratische Einbeziehung der Mitglieder über '2009' gab es aber zu keinem Zeitpunkt, die Reduzierung von Stellen auf Vorstandsebene geht meines Erachtens mit einer stärkeren Machtkonzentration beim Vorstand einher und die sog. 'Kampagnenfähigkeit' - gemeint sind meist medienwirksamen, teure Marketingkonzepte -, zielt zwar auf mehr zahlende Mitglieder ab und Einfluss in neuen Branchen, nicht aber auf wirkliche Überzeugungsarbeit und Stärkung der IG Metall als Kampforganisation!"

Die Notwendigkeit und Ausgangslage für eine starke IG Metall als Kampforganisation haben sich positiv entwickelt. Erstmals seit 22 Jahren hat die IG Metall wieder einen deutlichen Mitgliederzuwachs mit steigender Tendenz. Die Höchstmarke von 2,3 Millionen ist wieder in Reichweite. Vor allem wendet sich die Jugend wieder verstärkt dem gewerkschaftlichen Engagement zu. Jedes zweite neue Mitglied ist jünger als 27 Jahre.

"rf-news" wünscht dem 22. Gewerkschaftstag der IG Metall einen erfolgreichen Verlauf und wird aktuell weiter berichten.