Betrieb und Gewerkschaft

IG-Metall-Gewerkschaftstag geht mit Buhrufen gegen Bundeskanzlerin Merkel zu Ende

16.10.11 - Am Freitag Abend ging der 22. Gewerkschaftstag der IG Metall in der Karlsruher Messe zu Ende. Am vorletzten Tag war unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Gast, die in ihrer 40-minütigen Rede unter Buhrufen die Erhöhung des Renteneintrittsalters verteidigte. Vor ihrem Auftritt hatte sie sich geweigert, die Stellungnahme einer Jugendvertreterin zur Forderung nach unbefristeter Übernahme aller Lehrlinge entsprechend ihrer Ausbildung anzuhören. Sie sprach sich für die Politik der Klassenzusammenarbeit aus und versüßte diesen Appell mit vagen Versprechungen einer höheren Besteuerung von Besserverdienenden.

Insgesamt war der Gewerkschaftstag ("rf-news" berichtete mehrmals) von der sich entfaltenden Richtungsauseinandersetzung in der IG Metall zwischen der Politik des Co-Managements und dem Wunsch, die Gewerkschaften zu Kampforganisationen zu machen, geprägt. Obwohl der IGM-Vorstand mit allen Mitteln versuchte, eine offene Diskussion darüber zu verhindern, konnte er nicht vermeiden, dass die kontroversen Positionen an mehreren Punkten zutage traten - wie bei der gescheiterten Satzungsänderung oder den Diskussionen um die Frauenarbeit oder Leiharbeit.

Während der Antragsberatung wehrten sich Delegierte immer wieder gegen die Methode, kämpferische und kritische Anträge mit relativ allgemein formulierten Entschließungen des Vorstands "unterzupflügen" und diese möglichst schnell zur Abstimmung zu stellen. In dem Block zum Thema "Gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen" wurde z.B. die Entschließung 1 mit der Begründung des Zeitdrucks mehr oder weniger "durchgewunken" und damit z.B. jede Diskussion um die Frage des Streikrechts umgangen. Dazu lagen neun Anträge vor. Darunter ein sehr weitreichender Antrag aus Esslingen, der ein vollständiges, allseitiges und gesetzliches Streikrecht forderte. Sie konnten aus diesem Grund nicht angenommen werden.

Am Donnerstag hatten sich die Delegierten mit deutlicher Mehrheit über die Empfehlung der Antragskommission hinweg gesetzt, einen Ergänzungsantrag abzulehnen, der das "Verbot der Leiharbeit in der jetzigen Form" forderte. Der Vertrauenskörperleiter von MAN München machte sehr eindringlich deutlich, in welch menschenunwürdige Zustände die Leiharbeit Beschäftigte treibt. Um eine Kampfabstimmung über zwei Anträge zu den von Gewerkschaften abgeschlossenen Leiharbeitstarifverträgen zu verhindern, wurde sinngemäß ein Satz in die Entschließung 4 einfügt: "Die IG Metall prüft und diskutiert, inwieweit Tarifverträge des DGB dem Prinzip Equal pay entgegenstehen."

Zur Frauenarbeit gab es einen Ergänzungsantrag einer Rednerin aus Hanau, der unter anderem forderte, eigenständige Frauenstrukturen mit Antragsrechten in der IG Metall beizubehalten. Das richtete sich direkt gegen den Plan des Vorstands, die Frauenarbeit künftig durch den 2. Vorsitzenden Detlef Wetzel "nebenher" erledigen zu lassen. Hinter den Kulissen wurden die Frauen massiv unter Druck gesetzt, auf Redebeiträge zur Streichung dieses Passus durch die Antragskommission zu verzichten. Zwar gab es dazu keine Diskussion mehr, der Vorstand musste jedoch seine Ablehnung solcher Strukturen zurückziehen und der Antrag ging mit allen wesentlichen Forderungen durch.

Angenommen wurde ein Antrag aus Chemnitz zur Abschaffung der "Extremismusklausel", der kritisiert, dass diese Klausel alle unter den Generalverdacht der "Verfassungsfeindlichkeit" stellt, die gegen Rassismus und Nationalismus aktiv sind. "Erledigt" wurde damit leider auch der viel weiter gehende Antrag des Jugendausschusses, der unter anderem fordert, ein "klares Bekenntnis gegen die 'Extremismusklausel' der Bundesregierung zu formulieren". Absurd sei es, "Teile linker Weltanschauungen, wie zum Beispiel eine antikapitalistische Orientierung ... als Ablehnung demokratischer Prinzipien zu deuten".

Der Versuch des IGM-Vorstands, auf dem Gewerkschaftstag Diskussionen über den Unvereinbarkeitsbeschlusses gegenüber der MLPD möglichst zu verhindern, ging nicht auf. Ein Berliner Delegierter verlangte, dass vor Gewerkschaftsausschlüssen den betroffenen Mitgliedern individuell nachgewiesen werden müsse, ob sie gewerkschaftsfeindlich seien. Eine Delegierte aus Eisenach sprach sich für das Prinzip der Einheitsgewerkschaft aus, die auch für Marxisten-Leninisten offen sein muss. Sie erhielt dafür mehrmals Beifall.

Die Antragskommission rechtfertigte den Unvereinbarkeitsbeschluss damit, dass man das Parteiprogramm der MLPD nochmals überprüft habe. Daraus gehe hervor, dass die MLPD gegen die "Gleichheit aller Menschen" sei. Dies kommt ausgerechnet aus dem Munde von Leuten, die den Marxisten-Leninisten bei jeder Gelegenheit "Gleichmacherei" vorwerfen. Ohne den geringsten Beweis dafür, der sich im Parteiprogramm auch nicht finden lässt, wurden solche offene Lügen und absurde Vorwürfe gegenüber der MLPD erhoben.  

Tatsächlich ist es die MLPD, die für die Aufhebung der Klassenunterschiede eintritt und damit für eine grundlegend gleiche Stellung der Menschen, was nun mal die Abschaffung der Klassenverhältnisse voraussetzt. Schon der französische Schriftsteller Anatole France polemisierte gegen die Illusion der bürgerlichen Gleichmacherei: "Das Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit verbietet den Reichen wie den Armen, unter den Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen." Was soll das für eine Gleichheit sein, in der die einen die Produktionsmittel besitzen, während die anderen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen?

Wie wenig der IGM-Vorstand selbst von der Gleichheit der Menschen hält, wird daran deutlich, dass innerhalb der Gewerkschaften revolutionäre Kräfte diskriminiert und unterdrückt werden, was sogar gegen das bürgerliche Anti-Diskrimierungsgesetz verstößt. In einem Antrag aus Esslingen wurde unter anderem kritisiert, wie sich der IG-Metall-Vorstand völlig undemokratisch über den Auftrag des letzten Gewerkschaftstags hinwegsetzte, die Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegen die MLPD zu überprüfen und abzuschaffen.

Bei der Abstimmung folgte die Mehrheit der Delegierten nach dieser Diffamierung der MLPD der Empfehlung der Antragskommission. Mit der Bestätigung des Unvereinbarkeitsbeschlusses wird ein Relikt aus der Zeit antikommunistischer Säuberungen während des "Kalten Kriegs" und des "Radikalenerlasses" am Leben erhalten, das der IG Metall und ihrer Kampfkraft schweren Schaden zufügt. Und das in einer Situation, in der es mehr denn ja darauf ankommt, die Gewerkschaften als Kampforganisationen zu stärken statt zu spalten sowie eine breite Diskussion über gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus in ihnen zu ermöglichen.

Berücksichtigen muss man dabei die Zusammensetzung des Gewerkschaftstags. So liegt der durchschnittliche Monatsbeitrag der Delegierten bei 46 Euro (angesichts eines Beitragssatzes von einem Prozent vom Bruttogehalt entspricht das einem durchschnittlichen Gehalt von 4.600 Euro). An der Basis der IG Metall stößt der Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die MLPD auf wachsende Kritik und Ablehnung. Die Auseinandersetzung darum und über die "Begründung" des IGM-Vorstands wird sicherlich eine zentrale Frage in der Auswertung und Berichterstattung zu diesem Gewrkschaftstag sein.