Politik

DGB: Hartz IV-Regelsatz ist rechtswidrig

17.10.11 - Im März hatte die Bundesregierung ihr »Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen« vorgelegt. Danach ist die derzeitige Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes von 364 € für eine Einzelperson entsprechend der Berechnungen nach EVS (Einkommens- und Verbrauchsstichprobe) des Statistischen Bundesamtes nicht zu beanstanden. Nun legt die DGB-eigene Hans-Böckler-Stiftung ein interessantes Gutachten vor, nach welchem diese neue Ermittlung der Hartz IV-Regelsätze in zehn Punkten gegen die Verfassung verstoße. Die wichtigsten:

  • Der Regelsatz wird von der Regierung dadurch gedrückt, das zu seiner Berechnung Haushalte herangezogen werden, deren Einkommen unterhalb des Existenzminimums liegen.
  • Einmalig und in großen Abständen erfolgende Anschaffungen wie Fahrräder, Kühlschränke oder Fernseher werden nicht erfasst.
  • Seit neuestem zählen Alkohol und Tabak, aber auch Gartengeräte, chemische Reinigung oder Hundefutter nicht mehr zu »regelsatzrelevanten Ausgaben«. Derlei statistische Tricks betragen laut Gutachten »rund ein Drittel der statistisch ermittelten Ausgaben«. Und damit sei keine Existenzsicherung mehr gewährleistet.
  • Die Bundesregierung rechnet den »Mobilitätsbedarf« runter. Da Hartz-IV-Beziehern kein Auto zusteht, werden die Benzinkosten aus dem Regelsatz rausgerechnet, ohne aber zu berücksichtigen, »dass die Referenzgruppe (statistische Vergleichsgruppe – rf-news) dann aber höhere Ausgaben für öffentliche Verkehrsmittel gehabt hätte.« Allein deshalb falle der Regelsatz um 6 Euro zu niedrig aus.
  • Der 10-Euro-Bildungsgutschein für Mitgliedsbeiträge im Sportverein, für Musikunterricht oder Freizeiten widerspreche dem »Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit«. Außerdem gehen die Kinder leer aus, in deren Umfeld keine entsprechenden Angebote existieren.
  • Der Inflationsausgleich erfolge zu spät.

Zu der letzten Feststellung der Gutachter ist allerdings anzumerken, dass es in Wahrheit überhaupt keinen Inflationsausgleich für Hartz-IV-Bezieher gibt. Der Regelsatz stieg von 345 € im Jahr 2005 auf heute 364 €, also um 5,5 %. Laut Statistischem Bundesamt betrug die Preissteigerung in diesem Zeitraum aber 16,2 %. Damit ist der Regelsatz gemessen an den Lebenshaltungskosten seit 2005 um 10,7 % gesunken.

Insgesamt macht das Gutachten der Hans-Böckler-Stiftung deutlich, was die SPD/Grünen-Regierung mit der Agenda 2010 unter ungeteilter Zustimmung von CDU/CSU und FDP angerichtet habt: die bisher beispiellose Zerschlagung des Sozialversicherungssystems mit der Folge der Verarmung von 15 Millionen Menschen in der BRD verbunden mit einer radikalen Senkung des Lohnniveaus der Beschäftigten.

So stellte der DGB in einer Studie Ende August 2011 fest: Bei den Niedriglöhnen ist Deutschland inzwischen Spitzenreiter in Europa: Rund 2,1 Millionen Menschen in Lohnarbeit bekommen weniger als 6 Euro die Stunde, davon die Hälfte weniger als 5 Euro. Bei den Leiharbeitern und den so genannten »Minijobbern« beziehen inzwischen über 80 % extrem niedrige Löhne. 1,3 Millionen Vollarbeitskräfte müssen 'aufstocken'. Für diese »Lohnkostenzuschüsse« hat der Steuerzahler bereits mit über 50 Milliarden € quasi die Lohnzahlungen der Kapitalisten als Kombilöhne finanziert.

Der DGB will nun auf der Grundlage des Gutachtens der Hans-Böckler-Stiftung vor dem Verfassungsgericht klagen. Klagen auf Abschaffung von Hartz IV werden aber seit 2005 vom Verfassungsgericht nicht mehr zugelassen, höchstens noch Klagen auf einzelne Änderungen. Das weiß die DGB-Führung nur zu gut. Notwendig ist die massenhafte Beteiligung und Mobilisierung der Gewerkschaftsmitglieder an dem Widerstand gegen Hartz IV und die Hartz-Gesetze insgesamt.