Wirtschaft

EU-Gipfel - waghalsiger Drahtseilakt mit Billionen-Euro-"Hebeln"

27.10.11 - Nach heftigem Streit zwischen den Regierungschefs (siehe "rf-news"-Bericht) hat der EU-Krisengipfel vier Beschlüsse gefasst, die angeblich der "Durchbruch" zur Rettung der Euro-Länder vor einer Kettenreaktion der Staatsbankrotte und Bankenpleiten sein sollen. Das ist nicht der erste "Durchbruch", den die EU-Regierungen in dieser Frage versprochen haben. Tatsächlich scheitert ihr Krisenmanagement in immer kürzeren Abständen. Der Hintergrund dafür ist, dass sich die Weltwirtschafts- und Finanzkrise wieder dramatisch verschärft. Das zwingt die Krisenmanager zu immer waghalsigeren Finanzkonstruktionen, basierend auf hoch spekulativen Annahmen. Hoch spekulativ wäre deshalb auch jede Wette auf die Halbwertszeit der jetzt gefassten Beschlüsse.

Da ist die großzügige Zusage der privaten europäischen Gläubigerinstitute, dem griechischen Staat "freiwillig" die Hälfte seiner Schulden zu erlassen. Das entspräche rund 100 Milliarden Euro, bei denen allerdings ohnehin keine Aussicht auf Rückzahlung mehr besteht. Deshalb sollen die Banken und Versicherungen ihre alten Griechenland-Anleihen im Januar 2012 in neue Anleihen des griechischen Staats umtauschen können. Der Euro-Rettungsfonds (EFSF) soll dafür 30 Milliarden Euro zuschießen. Ein weiteres hoch profitables Geschäft für die Banken, die sich an den Zinsen ihrer Griechenland-Kredite bereits seit Jahren eine goldene Nase verdient haben.

Durch den Schuldenschnitt soll der griechische Schuldenstand bis zum Jahr 2020 von derzeit 160 Prozent auf 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt werden und Griechenland bis dahin wieder ohne ausländische Finanzhilfen auskommen. Eine reine Fata Morgana! Schon jetzt ist abzusehen, dass die griechische Wirtschaft aufgrund der immer drastischeren Krisenprogramme auch in den nächsten Jahren weiter schrumpfen wird. Die Folge werden weitere Haushaltslöcher und ein wachsendes Finanzierungsdefizit sein.

Beschlossen wurde auch, die Kernkapitalquote bei 91 systemrelevanten europäischen Banken von vier auf neun Prozent zu erhöhen, angeblich um einer neuen internationalen Bankenkrise entgegen zu wirken. Für diesen "Risikopuffer" sind laut der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) 106 Milliarden Euro nötig. Dazu sollen die Regierungen und evtl. auch der EFSF-Fonds Geld zuschießen. Nach all den "Rettungs"-Milliarden, die die Banken bereits erhalten haben, werden ihnen damit noch größere Summen in den Rachen geworfen.

Mit einem so genannten "Hebelmechanismus" für den Rettungsschirm EFSF sollen im Notfall auch große Länder wie Spanien und Italien vor dem Staatsbankrott gerettet werden. Aus den derzeit zur Verfügung stehenden 250 Milliarden Euro soll dadurch über eine Billion Euro "gezaubert" werden. Mit der Zusage, dass der EFSF im Falle der Staatspleite 25 Prozent ihrer Verluste übernimmt, will die EU dazu neue Käufer von Staatsanleihen dieser Länder gewinnen. Das bedeutet nichts anderes, als dass diese noch vollständiger dem Diktat der internationalen Monopole unterworfen werden. Das Finanzkapital profitiert damit noch am Bankrott ganzer Länder und zugleich wird ihm ein Ventil für das überakkumulierte Kapital auf der Suche nach maximalprofitbringenden Anlagemöglichkeiten geschaffen.

Italiens Regierung musste ein noch schärferes Krisenprogramm versprechen. So will die Regierung das Renteneintrittsalter bis zum Jahr 2026 auf 67 Jahre anheben und bestehende Mindestlöhne abschaffen. Aber auch in Italien steigt die Verschuldung und stagniert die Wirtschaft. Wie soll da erreicht werden, dass bis 2013 der Haushalt ausgeglichen ist und der Schuldenstand bis 2014 von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 113 Prozent sinkt?

Für die Masse der Bevölkerung in allen europäischen Ländern bringt das neue "Stabilitäts-Paket" sowieso keinerlei Erleichterungen. Im Gegenteil ist absehbar, dass sie für die Absicherung der Maximalprofite der Banken und Konzerne weiter zur Kasse gebeten werden. Die atemberaubenden "Rettungs"-Manöver vertiefen auch die Widersprüche zwischen dem allein herrschenden internationalen Finanzkapital und den noch vorwiegend an einzelne Nationalstaaten gebundenen Monopolen. Diese Widersprüche gehen mitten durch die CDU/CSU/FDP-Regierung, die deshalb bei Krisenbeschlüssen mittlerweile auf eine faktische "große" Vier-Parteien-Koalition angewiesen ist. Die Glaubwürdigkeit der angeblichen "Oppositionspolitik" von SPD und Grünen erhöht das nicht gerade. Ein Grund mehr, die Diskussion über eine grundlegende sozialistische Alternative zu diesem abgewirtschafteten System offensiv zu führen.