Politik

Merkels wundersamer "Sinneswandel" beim Mindestlohn

31.10.11 - Auf Vorschlag der nordrhein-westfälischen CDU will die Parteispitze um Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag im November einen Antrag für einen allgemein gültigen Mindestlohn einbringen. Gefordert wird darin, für alle Bereiche "eine allgemein verbindliche Lohnuntergrenze einzuführen, in denen ein tarifvertraglich festgelegter Lohn nicht existiert". Bisher gab es Mindestlöhne lediglich für einzelne Branchen und noch im Koalitionsvertrag der "schwarz-gelben" Bundesregierung von 2009 hieß es: "Einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn lehnen wir ab." (S. 21)

Der wundersame "Sinneswandel" der CDU-Führung erklärt sich vor allem aus ihrer tiefen politischen Defensive. Zwei Jahre nach der letzten Bundestagswahl würde nur noch jeder dritte Befragte überhaupt noch eine der Regierungsparteien wählen. 2009 erhielten sie noch 48,4 Prozent der Wählerstimmen.

Es ist wohl auch kaum Zufall, dass der Mindestlohn-Vorstoß unmittelbar nach der Beschlussfassung neuer riesiger Billionen-Euro-Schutzschirme zugunsten des internationalen Finanzkapitals erfolgt. Die Empörung über das scheiternde Krisenmanagement wächst unter der Masse der Bevölkerung ebenso wie der Wunsch, dagegen zu protestieren. Die "Internationale Arbeitsorganisation" (ILO) der UNO warnt bereits vor einer "deutliche(n) Verschärfung sozialer Unruhen" in Europa. Mit Zugeständnissen, die die Herrschenden nicht allzu viel kosten, versucht die Regierung, die wachsenden Widersprüche zu dämpfen.

Peinlich für die CDU-Führung: mit ihrem Einlenken beim Mindestlohn widerlegt sie auch ihr eigenes jahrelanges Gerede, Mindestlöhne würden Arbeitsplätze vernichten. Selbst bürgerliche Studien der jüngsten Zeit weisen nach, dass ein solcher Zusammenhang keineswegs existiert.

Tatsächlich ist der Mindestlohn, der der CDU-Spitze vorschwebt, aber nur die Fortführung der bisherigen Niedriglohn-Politik unter anderen Vorzeichen. Wenn es in dem Antrag heißt, der Mindestlohn solle sich "am Tarifabschluss der Zeitarbeitnehmer orientieren", bedeutet das einen gesetzlichen Armutslohn von 6,89 Euro in den neuen Bundesländern und 7,79 Euro in den alten Bundesländern. Das würde auch eine weitere Spaltung zwischen Ost und West in dieser Frage festschreiben.

Und noch nicht mal das ist innerhalb der CDU Konsens. Während vor allem die "Christlich-Demokratischen Arbeitnehmer" für die "Wende" zum Mindestlohn plädieren, warnen Vertreter der Unternehmerverbände wie BDA-Chef Dieter Hundt ausdrücklich davor. Auch aus der FDP und aus Teilen der CSU gibt es dazu massive Widersprüche.

Von einem halbwegs ausreichenden Mindestlohn kann man erst bei einem Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde sprechen, wie ihn die MLPD schon lange fordert. Die Forderung nach zehn Euro gesetzlichem Mindestlohn findet zunehmende Verbreitung – so in der bundesweiten Montagsdemo-Bewegung, beim Frauenverband Courage, an der Verdi-Basis (auf dem Verdi-Bundeskongress im September wurde der Beschluss gefasst, die Mindestlohn-Forderung möglichst bald von derzeit 8,50 auf 10 Euro zu erhöhen) und in der Linkspartei.

Ihr Co-Vorsitzender Klaus Ernst unterstrich gestern, dass "an einem gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro je Arbeitsstunde kein Weg vorbei" führe. Noch 2008 forderte die Linkspartei "mindestens acht Euro" als Mindestlohn. Auf ihrer Homepage vertritt sie schon seit einiger Zeit die Forderung "Einführung eines gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohns nach französischem Vorbild, der in der nächsten Wahlperiode auf zehn Euro pro Stunde erhöht wird und Jahr für Jahr zumindest in dem Maße wächst, wie die Lebenshaltungskosten steigen".

So notwendig ein gesetzlicher Mindestlohn von zehn Euro ist, kann er auf keinen Fall den Kampf um höhere Löhne und Gehälter ersetzen. Es ist genau richtig, dass gegenwärtig in verschiedenen Branchen und Betrieben angesichts der steigenden Preise Forderungen nach Lohnnachschlag diskutiert werden.