Betrieb und Gewerkschaft
Neuer "Familienbericht" der Regierung – ein Dokument der Krise der bürgerlichen Familienordnung
05.11.11 - Am 28. Oktober legte die damit von der Regierung beauftragte Kommission den neuen achten Familienbericht vor. Er enthält aufschlussreiche Einzeluntersuchungen. So geht daraus hervor, dass sich 63 Prozent der Väter und 37 Prozent der Mütter von minderjährigen Kindern nach eigenen Angaben aus Zeitgründen zu wenig um ihren Nachwuchs kümmern. 40 Prozent der Familien mit Kindern stehen "oft oder immer" unter Zeitdruck. Bei alleinerziehenden Müttern leidet sogar jede zweite unter einem solchen Dauerstress.
Erschwert werde Eltern das tägliche "Zeitmanagement" etwa dadurch, dass die Öffnungszeiten der Kindergärten nicht zum Schichtdienst passen, der Bus nur alle zwei Stunden fährt, sie beim Arzt lange warten müssen oder einen Behördentermin nur am Vormittag bekommen. Wie das mit der ganzen Politik der zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitszeiten, der "Gesundheitsreformen", der Verschlechterung staatlicher Dienstleistungen und Abwälzung auf die Familien zusammen hängt, das wird in dem Bericht allerdings weitgehend ausgeblendet.
Wer darüber mehr erfahren will, dem sei das vor elf Jahren erschienene Buch "Der Klassenkampf und der Kampf um die Befreiung der Frau" von Stefan Engel und Monika Gärtner-Engel empfohlen. Zu den Ursachen der wachsenden Zerreißprobe gerade für die Masse der werktätigen Frauen und ihre Familien wird dort unter anderem festgestellt: "Wirtschaftskrisen, Umweltkrise, politische Krisen stellen die Lebensverhältnisse der Massen grundlegend in Frage und vervielfältigen die Schwierigkeit der persönlichen Lebensführung. Gleichzeitig werden ihre Voraussetzungen untergraben. Das war nicht zuletzt ein wesentliches Ergebnis der staatlichen Krisenprogramme, die im Auftrag der Monopole erstmals Anfang der 80er Jahre durchgesetzt wurden. Sie verlagern schrittweise vom Staat übernommene Funktionen der menschlichen Reproduktion wieder in die private Verantwortung zurück, indem sie zum Beispiel die Mittel für Kindergärten und -horte, für Gesundheitsfürsorge, Jugendarbeit oder kulturelle Bildung streichen oder erheblich kürzen." (S. 115)
Familienministerin Kristina Schröder (CDU), mittlerweile bekanntlich selbst Mutter, sieht als Lösung der Probleme "eine familienbewusste Unternehmenskultur". Den "Führungskräften" in den Betrieben falle dabei eine "zentrale Rolle". Führungskräfte wie Frau Schröder können sich freilich jede Menge Kinderbetreuer leisten und ihre Arbeitszeit weitgehend selbst bestimmen. Für die Masse der Arbeiter und Angestellten sieht das anders aus. "57 Prozent der Männer und zwei Drittel der Frauen haben bis heute keinen Einfluss auf ihre Arbeitszeiten", heißt es dazu im Familienbericht. Dabei wünscht sich eine Mehrheit der Eltern nicht die Wahl zwischen 20-Stunden-Stellen oder einem Vollzeitarbeitsplatz, sondern die 30-Stunden-Woche.
In diesem Sinne setzen sich immer mehr Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für die Aufnahme des Kampfs um die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich sowie gegen Niedriglöhne und flexible Arbeitsbedingungen insbesondere von Leiharbeiterinnen ein. Diese Fragen standen mit im Zentrum der Gewerkschaftstage von Ver.di und IG Metall (siehe "rf-news"-Berichte dazu unter "Betrieb und Gewerkschaft"). Verschiedene Frauenorganisationen setzen sich aktiv gegen Kürzungen im Sozial-, Jugend-, Frauen- und Familienbereich ein. Der überparteiliche Frauenverband Courage tritt unter anderem für "quailifizierte kostenfreie Ganztagsbetreuung" von Kindern, "Erhalt und Ausbau von Freizeit- und Bildungseinrichtungen" und einen Mindestlohn von derzeit 10 Euro ein.
Eine "familienbewusste Unternehmenskultur" kann es im Kapitalismus genauso wenig geben wie die "Vereinbarkeit von Beruf und Familie", die den erwerbstätigen Frauen nun schon seit Jahrzehnten vergeblich versprochen wird. Der Kapitalismus ist zur Aufrechterhaltung seiner Ausbeutung und Unterdrückung auf die Kleinfamilie angewiesen – gleichzeitig zerstört er sie. Unter kapitalistischen Bedingungen ist dieser Widerspruch unlösbar.
In dem bereits zitierten Buch werden – anders als im Familienbericht – durchaus Perspektiven zu seiner Lösung aufgezeigt: "Dabei hat die Entwicklung der Produktivkräfte heute längst die gesellschaftliche Lösung aller Fragen der Produktion und Reproduktion des menschlichen Lebens vollständig materiell vorbereitet: eine gesellschaftliche Erziehung, Ernährung, Familienplanung, Hausarbeit, Altersversorgung, Gesundheitsfürsorge, Kommunikation, Planung und Verteilung der Produktion in Verbindung mit der flexiblen Erfassung der stets wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse usw." Das allerdings wird erst in einer sozialistischen Gesellschaft zu verwirklichen sein.