Politik

Nach der Volksabstimmung zu "Stuttgart 21": Keine Unterordnung unter ein manipuliertes Ergebnis - kein Friede mit der Umweltzerstörung!

Nach der Volksabstimmung zu "Stuttgart 21": Keine Unterordnung unter ein manipuliertes Ergebnis - kein Friede mit der Umweltzerstörung!

28.11.11 - Am 27. November fand die erste Volksabstimmung in Baden-Württemberg statt. Sie war erkämpft worden, nachdem sich über Jahre ein aktiver Volkswiderstand gegen das Milliarden-Bahn-Projekt "Stuttgart 21" entwickelt hatte. Der Versuch, den Bau des neuen Tiefbahnhofs "Stuttgart 21" diktatorisch gegen diesen Widerstand durchzusetzen, sowohl mit polizeilichen Gewalteinsätzen wie am 30. September 2010 als auch mit dem Betrug der Geißler-Schlichtung im Anschluss daran, scheiterte. Das Abstimmungsergebnis zeigt, auf welch breite Ablehnung "Stuttgart 21" trotz massiver Gegenpropaganda und der manipulativen Durchführung der Volksabstimmung in ganz Baden-Württemberg und Stuttgart weiterhin stößt.

Landesweit gibt es eine Mehrheit gegen den Ausstieg aus "Stuttgart 21" von 58,8 Prozent, aber die einzelnen Ergebnisse fallen bei einer insgesamt relativ niedrigen Wahlbeteiligung von 48,3 Prozent sehr unterschiedlich aus. In mehreren größeren Städten wie Karlsruhe, Mannheim, Heidelberg, Freiburg oder Tübingen gibt es eine Mehrheit für den Ausstieg aus "Stuttgart 21", in Stuttgart selbst eine knappe Mehrheit dagegen. Auch in verschiedenen eher ländlich geprägten Wahlkreisen dominiert eine Mehrheit gegen den Ausstieg. Viele Menschen erinnern daran, dass die Volksabstimmung von vornherein eine "ungleiche Angelegenheit" war.

In der Tat - die Volksabstimmung war von einem Doppelcharakter geprägt, denn sie war äußerst undemokratisch organisiert, indem ein Quorum von einem Drittel der Wahlberechtigten hätte erreicht werden müssen, um aus "Stuttgart 21" auszusteigen. Die einfache Mehrheit der Abstimmenden reichte also ganz "offiziell" nicht aus - ein Signal, das vor allem die Unentschiedenen entmutigen sollte. Als "Hauptargument" für "Stuttgart 21" diente weiterhin die Erpressung mit den angeblich 1,5 Milliarden Euro, die im Falle des Ausstiegs "verschwendet" gewesen wären. Selbst viele Gegner von "Stuttgart 21" sahen sich davon unter Druck gesetzt und wollten nicht verantwortlich sein, dass "soviel Geld in den Sand gesetzt" würde.

Aber auch sonst standen den "Stuttgart 21"-Betreibern mit ihren Finanziers in den Konzernzentralen und Banken alle möglichen Mittel der Wahlmanipulation zur Verfügung. Noch am Samstag wurden z.B. große Anzeigen geschaltet, in denen der Unternehmerverband Gesamtmetall gemeinsam mit dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Klemm von Daimler für "Stuttgart 21" warben. Nur die Belegschaften wurden gar nicht erst gefragt, was sie von dieser Art "Werbung" in ihrem Namen hielten!

Entgegen solcher Demagogie, die auf tausenden von Plakaten zu verdrängen versuchte, dass "Stuttgart 21" in erster Linie eine riesige Umweltgefährdung darstellt, eine massive Verschlechterung im Nah- und Güterverkehr bringt und in Verbindung steht mit einer gigantischen Bauspekulation, entfalteten sich unter den Massen der "Stuttgart 21"-Gegner in den letzten Wochen immer mehr ideenreiche Initiativen. Zahllose Menschen beteiligten sich an der politischen Auseinandersetzung, viele von ihnen machten so etwas zum ersten Mal in ihrem Leben.

Das bedeutete nicht nur Teilnahme an Demonstrationen, sondern auch aktives Engagement und Partei-Ergreifen im Bekanntenkreis, in der Familie, im Stadtteil und unter Kollegen in Betrieben und Gewerkschaften. Das war und ist eine große Politisierung und auch ein besonderer Ausdruck des allgemeinen Stimmungsumschwungs gegenüber der Politik des Krisenmanagements der Berliner Regierung und der Milliarden-Rettungsschirme auf Kosten der Massen der Werktätigen und Steuerzahler.

Schon am Samstag vor der Abstimmung brachten Tausende vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof erneut auf den Punkt, dass sie den Widerstand gegen "Stuttgart 21" in jedem Fall fortsetzen werden, unabhängig davon, wie das konkrete Abstimmungergebnis ausfallen wird. Das war auch die Stimmung am Sonntag Abend unmittelbar nach dem Ende der Volksabstimmung, wo sich wieder eine große Anzahl von "Stuttgart 21"-Gegnern am Bahnhof versammelt hat, auch wenn nicht wenige gerade über das Stuttgarter Ergebnis enttäuscht waren. Mut machte unter anderem der Stuttgarter Regisseur Volker Lösch, indem er sagte, dass der Protest gegen "Stuttgart 21" auch diese "neue Hürde" nehmen würde!

Immer wieder war von bürgerlichen Politikern dagegen in den letzten Tagen - besonders auch von der Landesregierung aus Grünen und SPD - propagiert worden, dass nach der Volksabstimmung "Schluss" sein müsste mit dem Protest. Der grüne Ministerpräsident Kretschmann verpflichtete sich bereits öffentlich im Landtag, das Baurecht für "Stuttgart 21" durchzusetzen. All dies unter dem heute in allen Medien verbreiteten Stichwort vom "Frieden in Stuttgart".

Um einen solchen faulen Frieden mit den Herrschenden zu verhindern und den Widerstand höher zu entwickeln, muss der bisherige Kampf aber auch gründlich ausgewertet werden. Die MLPD hatte zum Kampf um jede Stimme aufgerufen, aber zugleich vor Illusionen in die Abstimmung gewarnt. Diese fand statt unter den Bedingung des bürgerlichen Parlamentarismus, der zum ureigenen Terrain der Monopole und ihrer Parteien gehört. Gerade die früheren Regierungsparteien CDU und FDP, aber auch die SPD mobilisierten dazu ihre berühmt berüchtigte Landes-Filzokratie.

Es war darum richtig, die Volksabstimmung zu nutzen, um den aktiven Widerstand gegen "Stuttgart 21" zu fördern, ersetzen konnte sie ihn jedoch auf keinen Fall. Vor diesem Hintergrund bedeutet es eine Sackgasse, wenn aktuell von verschiedenen Vertretern auch innerhalb des Aktionsbündnisses nur noch von einer "kritischen Begleitung" zu "Stuttgart 21" gesprochen wird oder der grüne OB von Tübingen, Boris Palmer, den politischen Kampf sogar für beendet erklären will.

Andererseits kann es auch nicht nur um eine bloße Weiterführung des bisherigen Kampfes gehen. Er braucht eine neue Qualität. Diese wird nur möglich sein, wenn sich der Protest gegen "Stuttgart 21" mit dem weltweiten Kampf zur Rettung der Umwelt vor der Profitwirtschaft verbindet und verbündet. Nur international und massenhaft organisiert kann die Umweltbewegung zu einer dem heute allein herrschenden internationalen Finanzkapital überlegenen Kraft werden und eine drohende Umweltkatastrophe verhindern. Dazu muss grundsätzlich auch die Systemfrage aufgeworfen werden, wie sie gerade bei "Stuttgart 21" so deutlich in Erscheinung trat und unter der populären Losung von der "Arroganz der Macht" ins Visier genommen wurde.

Die nächste Gelegenheit, den Protest mit dieser Stoßrichtung zu fördern, ist der folgende Samstag, 3. Dezember, wenn in vielen Ländern der internationale Umweltkampftag durchgeführt wird. Schon heute auf der 101. Montagsdemonstration gegen "Stuttgart 21", aber auch bei den Montagsdemos gegen Hartz IV in ganz Baden-Württemberg, werden diese Fragen die Diskussionen bestimmen und eine neue Phase der Überzeugungsarbeit und des Widerstands einleiten: Kein Friede mit "Stuttgart 21" - kein Friede mit der imperialistischen Umweltzerstörung!

Peter Borgwardt, Landesleitung der MLPD Baden-Württemberg