Betrieb und Gewerkschaft
Unbefristeter Streik bei "Pflegen&Wohnen" in Hamburg: "Wir müssen lernen, uns gerade zu machen"
13.01.12 - Seit dem 9. Januar befindet sich die Belegschaft von "Pflegen&Wohnen", dem größten privaten Pflegeheimbetreiber in Hamburg, im Arbeitskampf. Die Gewerkschaft Verdi hatte die über 1.600 Beschäftigten in insgesamt 13 Einrichtungen - die meisten davon Frauen - zum unbefristeten Streik aufgerufen, um einen Tarifvertrag durchzusetzen. Im Sommer 2011 lief ein bestehender Tarifvertrag aus, Verdi forderte eine Erhöhung der Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und eine betriebliche Gesundheitsförderung. Seit 2009 hat es keine Lohnerhöhungen mehr gegeben. Darauf haben die Pflegeheimbetreiber kategorisch erklärt, keinen Tarifvertrag mehr abschließen zu wollen.
Der Streik ist deshalb nicht nur wichtig für die gesamte Pflegebranche, in der mit der verstärkten Einstellung von Niedriglohnkräften und oft drastischer Personaleinsparung die Ausbeutung der Beschäftigten gesteigert wird. Er hat auch politische Bedeutung, weil es hier um das Recht geht, sich gewerkschaftlich zu organisieren und Tarifverträge über Lohn- und Arbeitsbedingungen durchzusetzen, statt vollständig der Willkür der Unternehmer ausgesetzt zu sein.
Die Hamburger Firma "Pflegen&Wohnen" entstand durch die Privatisierung der früher städtischen Pflegeheime. Die jetzigen Besitzer sind Nikolai P. Burkhart von der Vitanas GmbH & Co. KG aA (Berlin) und Andreas Franke von der Unternehmensgruppe Hamburg. Hintergrund solcher Privatisierungen ist, dass das internationale Finanzkapital mit der Neuorganisation der internationalen Produktion auch den Pflegebereich als Anlagemöglichkeit des überakkumulierten Kapitals entdeckt hat.
In dem Buch "Götterdämmerung über der 'neuen Weltordnung'" heißt es dazu: "Die internationalen Monopole halten fieberhaft Ausschau nach neuen Anlagemöglichkeiten für ihr überschüssiges Kapital. Dabei entdeckten sie auch das staatliche Sozialwesen, vor allem die Bereiche Gesundheit, Pflege, Bildung und Kinderbetreuung." (Seite 314) Im Dezember 2009 waren in Deutschland 2,34 Millionen Menschen pflegebedürftig. Der Anteil "privater Träger" bei den Heimen steigt ständig. Bereits im Jahr 2003 lag er bei 37 Prozent. Gegenüber 1999 war das eine Steigerung bei um 17 Prozent.
Es hat sich viel aufgestaut in der Belegschaft von "Pflegen&Wohnen". So äußert sich eine langjährig angestellte Kollegin, dass die Zeit den Pflegern im Nacken sitzt, an "guten" Tagen z.B. eine Pflegerin allein für fünf Wachkoma-Patienten zuständig ist, an schlechten Tagen für zehn. "Das ist eigentlich Wahnsinn. Aber das Pensum wurde so schleichend über die Jahre erhöht, dass es uns Pflegern erst jetzt klar wird." In vielen Pflegeheimen sei es heute wie bei einer Fließbandarbeit: "Patient schnell abduschen oder umlagern, einscannen. Der Nächste bitte ..."
Und ohne Tarifvertrag würden alle Kolleginnen und Kollegen, die neu eingestellt würden, sofort von weiteren Lohnsenkungen, Verschlechterungen der Arbeitszeiten usw. betroffen sein. Vor diesem Hintergrund hatten sich 98 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für einen unbefristeten Streik ausgesprochen. "Es reicht. Wir müssen endlich lernen, uns gerade zu machen", so eine andere Kollegin.
Der Kampf der Beschäftigten bei "Pflegen&Wohnen" richtet sich sowohl gegen die Verschärfung der Ausbeutung in den Pflegeheimen und die damit verbundene Beschneidung der Tarifrechte der Beschäftigten als auch gegen die gesamten zunehmend menschenverachtenden Zustände im Pflegebereich, unter denen vor allem die Pflegebedürftigen zu leiden haben.
Die Streikplanung von Verdi geht vorerst bis Ende Januar. Bisher werden von Montag bis Mittwoch sowie am Freitag jeweils einzelne Einrichtungen bestreikt und am Donnerstag findet immer ein Vollstreik in allen 13 Einrichtungen statt. Der Streik verdient uneingeschränkte Solidarität! (Solidaritätsadressen bitte an: norbert.proske@verdi.de)