Politik

Verlogene Begründung für "Neonazi"-Datei

19.01.12 - Gestern hat das Bundeskabinett beschlossen, eine so genannte "Verbunddatei für Neonazis" einzurichten. Die Polizei von Bund und Ländern soll damit künftig gemeinsam mit dem Inlandsgeheimdienst "Verfassungsschutz" und dem Militärgeheimdienst MAD die Daten von rund 10.000 faschistischen Gewalttätern einheitlich erfassen und bundesweit abrufen können. Begründet wird das mit angeblichen "Ermittlungspannen" und "Informationsdefiziten" gegenüber der faschistischen Terrorgruppe "NSU", die man dann besser vermeiden könne. Das ist absurd, denn über niemand sind die bundesdeutschen Geheimdienste besser informiert als über die Machenschaften der Neofaschisten.

Bereits 2003 beim Scheitern des NPD-Verbotsantrags der Schröder-Regierung wurde bekannt, dass jeder siebte Funktionär dieser Partei auf Bundes- und Landesebene als V-Mann des "Verfassungsschutzes" tätig war. Seitdem ist diese Zahl weiter angestiegen. Es kursieren Zahlen von über 130 V-Leuten allein in der NPD. Die jetzt aufgeflogene Untergrund-Terrororganisation wurde von V-Leuten keineswegs nur "beobachtet", sondern systematisch gefördert.

So erhielt der V-Mann und damalige stellvertretende Landesvorsitzende der NPD, Tino Brandt, vom Thüringer "Verfassungsschutz" über 200.000 DM für den Aufbau des "Thüringer Heimatschutzes", aus dem auch die Terrorgruppe "NSU" Ende der 1990er Jahre hervorging. Gestern sickerte durch, dass mindestens fünf V-Leute und Informanten der verschiedenen Geheimdienste im "Umfeld" der "NSU" tätig waren.

Wenn offenbar bei einigen Polizeibehörden tatsächlich "Informationsdefizite" bestanden, dann allein deshalb, weil die faschistischen Terroristen von höchster Stelle abgeschirmt und Ermittler, die ihnen zu nahe kamen, regelmäßig behindert und zurückgepfiffen wurden. Die bisher dazu bekannt gewordenen Fakten belegen "ein umfassendes System der Duldung, Förderung und Deckung des neofaschistischen Killerkommandos mit dem Namen 'NSU' durch staatliche Institutionen, sowie eine strukturelle Verbindung des staatlichen Unterdrückungsapparates mit den faschistischen Kräften", wie es der Vorsitzende der MLPD, Stefan Engel, im Interview mit der "Roten Fahne" ausführte.

Daran wird die Einrichtung einer "Neonazi"-Datei nicht das Geringste ändern. Aber das ist auch gar nicht ihr Zweck. Vielmehr ist sie ein weiteres Ablenkungsmanöver von der notwendigen Ächtung sowie dem Verbot aller faschistischen Organisationen und ihrer Propaganda - aber auch eine Methode, um das offiziell in der deutschen Rechtsprechung geltende "Trennungsgebot" von Polizei und Geheimdiensten als Schlussfolgerung aus dem Hitler-Faschismus weiter zu durchlöchern. Sie soll ausdrücklich vor allem eine "bessere Kooperation der Polizeibehörden und Verfassungsschutzämter" ermöglichen.

Interessanterweise nannte Justizministein Leutheusser-Schnarrenberger die neue Datei eine "maßvolle Ergänzung" der schon länger bestehenden NADIS-Verbunddatenbank aller Geheimdienste des Bundes und der Länder. Darin waren 2010 bereits fast 1,5 Millionen Menschen erfasst, darunter 440.000 wegen ihrer "verfassungsfeindlichen Haltung". Die "Neonazi"-Datei ist der Einstieg in eine noch umfassendere Nutzung der NADIS-Datenbank durch die Polizeibehörden, was sich vor allem gegen linke und revolutionäre Kräfte richten wird.