Betrieb und Gewerkschaft
Größte Arbeiterdemonstration seit langem im Ruhrgebiet
27.01.12 - Heute zogen in Bochum etwa 4.000 Stahlarbeiter in einem beeindruckenden Demonstrationszug durch die Stadt. Er startete am Tor Süd mit den Beschäftigten des Edelstahlwerks von ThyssenKrupp Nirosta (TKN) an der Essener Straße, wo auch die Warmbreitbandstraße steht. Ein Korrespondent berichtet:
Die Stimmung war kämpferisch und optimistisch. Die Lkws stauten sich schon bis auf die Hauptstraße. Auf der Ecke standen ein Koksofen und ein Zelt der IG Metall als Mahnwache. "Das hier müsste doch eigentlich erst eine Aufwärmphase sein", meinten zahlreiche Kollegen. Vom Stahlwerk aus setzte sich der bunte Zug Richtung Innenstadt in Marsch mit vielen Trillerpreifen, roten Fahnen und Mützen der IG Metall. Die große Glocke stand wie bei jedem Arbeitskampf in Bochum auf einem Lkw und wurde kräftig geschlagen.
Am Hochhaus stießen Tausende von Kollegen eines zweiten Demonstrationszugs hinzu, die mit Bussen aus den verschiedenen Standorten von TKN angereist waren: Krefeld, Düsseldorf-Benrath, Dillenburg und weiteren Werken. Das gab es ein großes Hallo und eine begeisterte Stimmung, es lief einem kalt den Rücken runter. Dazu waren Abordnungen aus den Stahlwerken von ThyssenKrupp Steel aus Duisburg, Bochum und Dortmund vertreten, Kollegen von Opel, Johnson Controls und vom Bochumer Verein. Beifall auch für eine Abordnung italienischer Kollegen.
Auffallend war die große Beteiligung von Jugendlichen, denn es geht um ihre Zukunft. Verschiedene Parteien unterstützten die Demonstranten, darunter - nicht zu übersehen - die MLPD mit einem Transparent für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, einem Stand und mehreren Literatur- und "Rote Fahne"-Verkäufern. Am Husemannplatz angekommen gab es Teilchen zum Essen, heiße Getränke und das Lied "Bochum" von Herbert Grönemeyer aus den Lautsprechern.
Die Kollegen sind empört und in großer Sorge, dass ihre Arbeitsplätze vernichtet werden. ThyssenKrupp will Betriebe mit insgesamt 35.000 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 10 Milliarden Euro verkaufen. Die Rede ist von einem möglichen Kaufpreis von ein bis zwei Milliarden Euro für den Edelstahlbereich. Das Geld will der Konzern in den Ausbau der Technologiesparten stecken, vor allem den Aufzugsbau.
Mit dem finnischen Edelstahlhersteller Outokumpu werden schon lange Verhandlungen geführt. Dieser Konzern mit 8.104 Beschäftigten und einem Umsatz von 4,2 Milliarden Euro im Jahr 2010 ist für die Kollegen kein Unbekannter. Er hatte sich den Hass der Belegschaften zugezogen, als er 2003 die Grobblechproduktion in Krefeld übernahm und die Arbeitsplätze entgegen den Zusagen anschließend vernichtet hat.
Mit der Vernichtung zahlreicher Arbeitsplätze und der Schließung ganzer Werke rechnen die Belegschaften auch jetzt, das ist die Erfahrung aus allen großen Fusionen in der deutschen Stahlindustrie von Krupp und Hoesch bis zu ThyssenKrupp. Viele Kollegen machten deutlich: sie sind bereit, den Kampf für ihre Arbeitsplätze auch mit radikalen Schritten zu führen. "Wie wär es, mal wieder auf die Autobahn zu gehen", meinte einer und die Umstehenden nickten.
Verschiedene Belegschaften hatten gleich am Montag, den 23. Januar, als die Verhandlungen bekannt wurden, die Arbeit niedergelegt, so in Krefeld und Dillenburg, anschließend aber wieder aufgenommen. Die offiziellen Redner wie Bertin Eichler vom Vorstand der IG Metall, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von ThyssenKrupp, orientierten dagegen allein auf die Verhandlungen und den "Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen". Doch damit wurden in den letzten Jahren Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet.
Hatten wir in Deutschland im Jahr 1980 noch 288.000 Arbeitsplätze in der Stahlindustrie, waren es 2010 nur noch 90.000. Die Produktivität hat sich von 152 Tonnen Stahl pro Beschäftigtem im Jahr auf 489 Tonnen im Jahr 2010 mehr als verdreifacht. Viel Beifall und herzliches Gelächter erntete ein Betriebsrat aus Dillenburg, der als Schlussredner mit dem Satz endete: "Die da oben sollen nur dran denken, dass sie es mit Stahlarbeitern zu tun haben. Da kann es auch schon mal was auf die Fresse geben!"
Die Solidaritätserklärung der Landesleitung der MLPD Nordrhein-Westfalen wurde verteilt und sprach aus, was viele Stahlarbeiter dachten: "Ein entschlossener, selbständiger Kampf aller Stahlarbeiter um jeden Arbeitsplatz wird breite Sympathie und Solidarität anderer Belegschaften und der Bevölkerung finden; er wäre ein Signal an die Arbeiter anderer europäischer Länder, die sich wie in Griechenland Spanien, Italien, Frankreich, Rumänien usw. gegen die Abwälzung der Krisenlasten mit Streiks und Demonstrationen zur Wehr setzen."