International
Zehntausende protestieren in Ägypten: "Nieder mit der Militärherrschaft!"
04.02.12 - Am Freitagnachmittag versammelten sich wieder fast 10.000 Menschen auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Tausende hielten dort auch die ganze Nacht durch weiter aus. Fast 30 Jugendorganisationen und Parteien hatten zuvor zu einem "Freitag des Zorns" aufgerufen. Nach dem faschistischen Massaker gegen Kairoer Fußballfans mit 74 Toten am Mittwoch (siehe "rf-news"-Bericht) richtet sich die Wut vor allem gegen die Militärregierung. Etwa 1.500 Menschen marschierten zum Verteidigungsministerium und forderten in Sprechchören die Hinrichtung von Militärrats-Chef Mohammed Hussein Tantawi. Demonstranten riefen: "Wir haben vom Umbruch geträumt. Sie haben uns zum Narren gehalten und uns stattdessen einen Feldmarschall gebracht." Was in den bürgerlichen Medien als "Versinken des Landes in Chaos und Gewalt" bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit die völlig berechtigte Auflehnung gegen die reaktionäre Gewalt der Herrschenden.
Tausende Fußballfans hatten sich am Freitag zunächst vor dem Vereinsgelände von Al-Ahly Kairo versammelt. Auch Anhänger der konkurrierenden Mannschaft Zamalek Kairo stießen dazu. Angesichts des Massakers gegen Al-Ahly-Anhänger haben die Fans beider Teams angekündigt, ihre Rivalität ruhen zu lassen. Anschließend zogen die Fußballfans in Richtung des Regierungs- und Parlamentsviertels und zum Tahrir-Platz. In Sprechchören forderten sie den Sturz des herrschenden Militärrats und seines Vorsitzenden Tantawi: "Dies war kein Sportunglück, dies war ein Militärmassaker." Aktivisten und Menschenrechtler vermuten, dass für das Massaker nicht in erster Linie "feindliche Fußballfans" verantwortlich waren, sondern bezahlte Schlägertrupps.
Mehrere Al-Ahly-Spieler führten den Aufmarsch an. Sie hatten zuvor ihren Rücktritt vom aktiven Sport aus Protest gegen das Massaker bekanntgegeben. Unter ihnen ist mit Mohamed Abutrika auch der beliebteste Fußballer des Landes. Den Demonstranten schlossen sich auch viele Ägypter an, die mit Fußball sonst wenig am Hut haben, darunter viele Frauen.
"Nieder mit der Militärherrschaft", skandierten aufgebrachte Menschen auch am Kairoer Hauptbahnhof, wo Fans empfangen und Leichen entladen wurden. Erneut gingen Polizeikräfte mit Tränengas und Schrotmunition gegen die Protestierenden vor. Vor dem Innenministerium wurde ein Demonstrant aus nächster Nähe erschossen. Der arabische Fernsehsender al-Dschasira berichtete von mindestens 668 Verletzten.
Die Proteste für Freiheit und Demokratie breiten sich im ganzen Land erneut aus. In Alexandria zogen Tausende Menschen mit Fotos der bei den Stadionkrawallen Getöteten vor das örtliche Hauptquartier der Streitkräfte. Vor dem Polizeihauptquartier in Suez versammelten sich etwa 3.000 Menschen, nachdem sich die Nachricht verbreitete, eines der Opfer sei aus Suez. Polizisten feuerten mit scharfer Munition in die Menge. Dabei töteten sie drei Menschen und verwundeten 15 weitere. Auch in Port Said demonstrierten tausende Menschen gegen Polizei und Militär. Auf einigen Transparenten war zu lesen: "Port Said ist unschuldig, das ist eine billige Verschwörung."
Die Rechnung des herrschenden Militärrats, mit der faschistischen Provokation von Port Said den erneuten Aufschwung der demokratischen Aufstandsbewegung einzuschüchtern und seine eigene Rolle zu legitimieren, geht nicht auf - im Gegenteil. Es ist gerade die konterrevolutionäre Gewalt, die den Massenprotest aufs Neue herausfordert. Er richtet sich gegen den unmittelbaren Gegner, den herrschenden Militärrat. Zum notwendigen positiven Ziel der Rebellion heißt es in dem Buch "Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution":
"In neokolonial abhängigen Ländern, vor allem wenn sie noch feudale und halbfeudale Strukturen aufweisen, kann der demokratische Kampf den Charakter einer demokratischen Revolution annehmen. Dort und auch in Ländern, in denen die bürgerlich-demokratischen Rechte weitgehend eingeschränkt sind, kann es zum nächsten strategischen Ziel werden, erst einmal umfassende bürgerlich-demokratische Rechte und Freiheiten zu erobern und sie zu nutzen, um eine allseitige revolutionäre Tätigkeit unter den breiten Massen zu entfalten. Das ist insbesondere in den arabischen Ländern der Fall, wo Anfang 2011 eine länderübergreifende Tendenz demokratischer Volksaufstände entstand." (S. 431)