Umwelt
Sibirische Fröste und die "soziale Kälte in der Politik"
09.02.12 - Schon immer gab es ab und zu besonders kalte Winter. "Na und", meinen Zeitungen wie das Hamburger Abendblatt und beschwichtigen: "... warm anziehen und nicht jammern". Das ist zynisch. Denn noch nie gab es in den letzten Jahrzehnten so viele Obdachlose in West- und Osteuropa, die dem Frost ausgesetzt sind. Eine Montagsdemonstrantin in Saarbrücken meinte voller Empörung am offenen Mikrofon: "Es ist nicht die Kälte, an der diese Menschen starben, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse sind verantwortlich!" Eine andere pflichtete ihr bei: "Ja, es ist die soziale Kälte in der Politik."
Über 300 Tote in Frankreich, Deutschland, Polen, der Ukraine, Rumänien und weiteren Ländern sind eine Anklage an das kapitalistische System, das Billionen für Bankenrettungsschirme bereitstellt, aber nicht in der Lage ist, Hunderttausende vor der Eiseskälte zu schützen.
In Griechenland wurde dem kompletten nordgriechischen Dorf Neohori Serron am Mittwoch letzter Woche bei Temperaturen von 8 Grad Minus der Strom abgedreht. Die etwa 50 Familien in dem vor allem von alten Leuten und Roma bewohnten Dorf hatten die neue Sondersteuer auf ihre bescheidenen eigenen vier Wände nicht zahlen können. In der Ukraine sind mindestens 30 Menschen nicht etwa auf der Straße, sondern zuhause, in ihren Wohnungen, erfroren!
Vorige Woche verbrannten in Köln und Berlin zwei Männer in Ruinen und Baracken, weil sie sich mit Kerzen und Brennspiritus wärmen wollten – das Feuer griff über. Die Stadt Köln hat jetzt zwar 1.100 Schlafplätze für Obdachlose eingerichtet. Nach dem Armutsbericht der Bundesregierung sind aber 330.000 Menschen in der BRD wohnungslos. Auf der Straße leben etwa 20.000, davon 2.000 Frauen; zudem gibt es etwa 6.000 Straßenkinder. Das sind nur die offiziellen Zahlen.
Die Behauptung, dass man halt im Winter mit Frost rechnen muss, lenkt auch von der Tatsache ab, dass das gegenwärtige zweite Rekordkältetief innerhalb der letzten drei Jahre ein Symptom der begonnenen Klimakatastrophe ist. Am 26. Januar veröffentlichten Wissenschaftler der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung eine neue Studie.
Darin heißt es, ein wichtiger Faktor für unser Winterwetter sei "der Luftdruckgegensatz zwischen der Arktis und den mittleren Breiten... Ist dieser Gegensatz hoch, entsteht ein starker Westwind. Er trägt im Winter warme, feuchte atlantische Luftmassen bis tief nach Europa. Bleibt dieser aus, kann kalte arktische Luft bis nach Europa vordringen, wie in den letzten beiden Wintern." Die Erwärmung der Arktis infolge des Treibhausklimas durch die ungehemmte fossile Verbrennung (Kraftwerke, Industrieanlagen, Vekehr) verringert diesen Gegensatz zwischen Nordpol und Westeuropa ständig.
Taut im Sommer das arktische Meereis besonders stark ab, wie in den letzten Jahren beobachtet, kommt es zur Verstärkung zweier wesentlicher Effekte: Zum einen legt das Verschwinden der hellen Eisoberfläche den dunkleren Ozean frei, wodurch sich dieser im Sommer unter Sonneneinstrahlung stärker erwärmen kann (Eis-Albedo-Rückkopplung). Zum anderen gibt die wärmere aufsteigende Luft über dem Wasser der Arktis den Weg für die sibirischen Kaltluftströme ungehinderter frei.
Diese ergießen sich in den gesamten europäischen und sogar bis in den nordafrikanischen Raum. Vladimir Petoukhov vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung hat bereits im November 2010 in seiner im Magazin "Geophysical Research" erschienenen Studie prognostiziert, "die Wahrscheinlichkeit extrem kalten Winterwetters in Europa und Nordasien" werde sich "verdreifachen".
Die Toten und zahlreichen Erfrierungen sind nur unmittelbare Folgen des Kälteeinbruchs. Die Verschiebung der Kälte- und Warmperioden hat verheerende Folgen auf die landwirtschaftliche Produktion. Ein Nachtfrost kann eine ganze Ernte vernichten, wenn zuvor die Pflanzen durch überdurchschnittliche Wärmeabschnitte bereits mit dem Aussprießen begonnen haben. Die minimierten Aussaaten werden dann durch die folgenden Regenfluten oder Hitzeperioden weiter dezimiert. Im Anbaugebiet Rheinhessen hat eine Reihe von Winzern letztes Jahr einen Ernteverlust von bis zu 90 Prozent erlitten und manche stehen vor dem Ruin.
Der Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf dem Rücken der Massen und der weltweite Widerstand zur Rettung der Umwelt gegen die Profitwirtschaft sind zwei Seiten einer Medaille, in der es um die Zukunft der Menschheit geht. Eine Zukunft, die letztlich überhaupt nur durch die internationale sozialistische Revolution gesichert werden kann.