Politik

Kofferpacken im Schloss Bellevue

Kofferpacken im Schloss Bellevue
(c) Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

17.02.12 - Christian Wulff (CDU) hat heute seinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten erklärt, Bundesratspräsident Horst Seehofer wird ihn vertreten. Der Rücktritt war unvermeidlich, nachdem die Staatsanwaltschaft Hannover gestern bekannt gegeben hat, dass sie ein Ermittlungsverfahren wegen "Vorteilsnahme" einleiten will und die Aufhebung der Immunität des Präsidenten beantragt habe.

Wulff steht mit seinem Rücktritt in einer noch nie dagewesenen Serie von bürgerlichen Spitzenpolitikern und Wirtschaftsbossen, die im Laufe des letzten Jahres das Handtuch geworfen haben: Plagiator und Verteidigungsminister zu Guttenberg (CSU); Silvana Koch-Mehrin, ebenfalls wegen Plagiat, FDP-Aushängeschild in der Europapolitik; Guido Westerwelle als FDP-Vorsitzender und Vizekanzler; Christian Lindner, Generalsekretär der FDP; Christian von Boetticher, Spitzenkandidat der CDU Schleswig-Holstein; Axel Weber, Chef der Deutschen Bundesbank; Dominique Strauss-Kahn, Chef des Internationalen Währungsfonds ... und so weiter. Auch das ist Ausdruck der inzwischen unübersehbaren allgemeinen Krisenhaftigkeit des Kapitalismus.

Christian Wulff ist unter Merkel  der zweite Bundespräsident nach Horst Köhler (Rücktritt im Mai 2010), der vorzeitig aus dem Amt scheidet. Aber es gab - außer vielleicht beim "Lügenbaron" Guttenberg - noch keinen, der mit solcher Hartnäckigkeit an seinem Sessel geklebt hat, der so wochenlang versucht hat, seine Handlungen bis ins Lächerliche zu rechtfertigen und einen Rücktritt unter allen Umständen zu vermeiden. Selbst noch in seiner Rücktrittserklärung hat Wulff behauptet, er habe sich in seinen Ämtern "stets rechtlich korrekt verhalten". Wulff: "Ich habe Fehler gemacht, aber ich war stets aufrichtig."

Der Mann hat nach allem, was bisher bekannt wurde, "Freundschaftsdienste" erhalten von Leuten, für die sich das durchaus gelohnt hat, z.B. durch eine Millionenbürgschaft für einen Filmunternehmer. In der Person Wulff wird sehr deutlich, wie eng im staatsmonopolistischen Kapitalismus die bürgerlichen Politiker auch personell mit dem Kapital, den bürgerlichen Massenmedien usw. verquickt sind. 

Kurz vor seiner Erklärung fragte "rf-news" verschiedene Passanten in Hannover, denen es zum Teil regelrecht peinlich war, dass ihre Stadt mit Wulff verbunden ist und die noch nicht an einen Rücktritt glaubten. "Der tritt nicht zurück", meinte einer, "der klebt an seinem Sessel. Den müssen sie mitsamt seinem Sessel aus Bellevue raustragen. Aber sollen sie doch lieber den raustragen als die Leute aus dem Park in Stuttgart." Und eine Frau: "Der weiß halt noch nicht, ob er dieses Gnadenbrot von 200.000 Euro im Jahr auch wirklich bekommt."

Bei Wulffs Sesselkleberei war auch viel "Staatsräson" im Spiel, ist Wulff doch einer, der politisch eng mit der Merkel-Regierung verbunden ist, dem Merkel bis gestern noch ihr Vertrauen aussprach und dessen Rücktritt die latente politische Krise und die Loslösung der Bevölkerung von den bürgerlichen Parteien und ihren Institutionen vertieft. Das Präsidentenamt und anfangs auch Christian Wulff hatten einen bestimmten Rückhalt in der Bevölkerung, manche haben ihn sogar als fortschrittlich empfunden.

Viele beobachteten deshalb auch zurecht misstrauisch die intensiven Bemühungen vor allem der reaktionären "BILD", nach immer neuen Schnäppchen des Präsidenten bei seinen Unternehmer- und Jet-Set-"Freunden" zu graben. Ausgerechnet "BILD" und Co. wollten plötzlich "der Wahrheit verpflichtet" sein? Und warum ausgerechnet von "rechts" so eine Kampagne gegen einen ihrer eigenen Leute?

Wulff, der sich in seiner politischen Entwicklung in verschiedenen Fragen als rechter Hardliner bewiesen hatte, der als niedersächsischer Ministerpräsident z.B. gegen viel öffentlichen Widerstand das reaktionäre Versammlungsgesetz durchdrückte - dieser Mann wurde in seiner Rolle als Bundespräsident buchstäblich öffentlich "weichgespült". Er sollte zur "Integrationsfigur" taugen, als Vertreter der Klassenzusammenarbeitspolitik, dem angeschlagenen bürgerlichen Parlamentarismus wieder Glanz verleihen. So einer taugt aber nicht mehr fürs Präsidentenamt in einer Zeit, in der die Bevölkerung auf eine volksfeindliche Krisenpolitik eingeschworen werden soll.

Aber er taugte auch nicht mehr als Präsident, zu dem die Bevölkerung Vertrauen hat. Denn immer klarer wurde, dass hier einer sein Amt ausnützt, sich selbst Vorteile zu verschaffen. So sagte eine Karnevalistin der "Stunk-Sitzung" in Köln, Wulff fühle sich "nicht an Weisungen, sondern an Überweisungen gebunden". Diese abstoßende Mentalität, sich Vorteile zu verschaffen, ist entgegen allen "betroffenen" Statements gang und gäbe in der bürgerlichen Politik, wird aber von der Masse der Bevölkerung zutiefst verachtet. Und gerade andere Grundsätze, wie sie z.B. Mandatsträger der MLPD befolgen, die die Zuwendungen aus ihrer politischen Tätigkeit an die Partei abführen, jederzeit kontrollierbar und absetzbar sind, stoßen bei den Leuten auf viel Zustimmung.

Merkel erklärte, sie habe Wulffs Rücktritt "mit größtem Respekt und tiefem Bedauern" zur Kenntnis genommen. Damit steht sie sicherlich ziemlich alleine da. Seit Tagen schon sind die Karnevalisten in Bereitschaft, ihre Motivwagen umzurüsten, falls Wulff zurücktritt. Spätestens am Rosenmontag wird gefeiert ...