Betrieb und Gewerkschaft

Tarifkampf im öffentlichen Dienst: "Wenn alle Busse und Bahnen stillstehen, das zeigt Wirkung"

04.03.12 - Beginnend ab Montag ruft die Gewerkschaft Verdi in der kommenden Woche mehrere Hunderttausend Beschäftigte des öffentlichen Dienstes zu Warnstreiks in der laufenden Tarifauseinandersetzung auf. Verdi fordert 6,5 Prozent Lohnerhöhung für die bundesweit zwei Millionen Beschäftigten der Kommunen und die 140.000 Tarifbeschäftigten des Bundes, sowie zur Stärkung der unteren Lohngruppen einen Mindestbetrag von 200 Euro. Auszubildende sollen monatlich 100 Euro mehr bekommen und die Garantie einer unbefristeten Übernahme nach dem Ende ihrer Ausbildung. Bei den Verhandlungen am vergangenen Donnerstag hatten die Vertreter von Bund und Kommunen erst gar kein Angebot vorgelegt, Bundesinnenminister Friedrich verlangte provokativ, Verdi solle eine neue, realistische Forderung aufstellen. 

Am Montag sind in Hessen rund 125.000 Beschäftigte in den Dienststellen des Bundes, der Städte, Gemeinden und Landkreise zu Warnstreiks aufgerufen. In Frankfurt und Umgebung werden weitgehend keine U-Bahnen und auch keine Straßenbahnen fahren. Die ebenfalls an den Tarifverhandlungen beteiligte Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ruft auch Erzieherinnen und Erzieher in städtischen Kindertagesstätten in Frankfurt und dem Umland zu Warnstreiks auf.

Die Streiks haben durch das gerichtlich verhängte Streikverbot gegen die Frankfurter Flughafenarbeiter und die mit dem Rücktritt des Bundespräsidenten Wulff verbundene Staatskrise von vornherein eine politische Dimension. Verdi-Vorsitzender Frank Bsirske fasste in der ARD die Stimmung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst zusammen: "Da geht jemand nach 20 Monaten mit einer Sofortrente von 199.000 Euro in den Ruhestand. Ehrensold für die Krankenschwestern, Ehrensold für die Müllwerker! Das ist die Losung, die jetzt in den Tarifverhandlungen ansteht, nach Jahren des Reallohnverlusts haben die Leute die Nase voll."

Ab Dienstag und Mittwoch werden die Beschäftigten in den Ballungsgebieten um Stuttgart und in Nordrhein-Westfalen zum Streik aufgerufen, der Nahverkehr im Ruhrgebiet soll 24 Stunden lahmgelegt werden. Busfahrer aus Oberhausen meinten im Gespräch mit "rf-news": "Wenn alle Busse und Bahnen stillstehen, das zeigt Wirkung. Und das soll es." "Aus den letzten Streiks wissen wir, dass die meisten Fahrgäste dafür Verständnis haben, auch wenn viele Berufspendler dafür Opfer bringen müssen, indem sie andere Fahrmöglichkeiten organisieren." "Wir fordern das Gleiche wie die Metaller, und ein gemeinsamer Kampf wäre gut."

Mit dem Argument, im öffentlichen Dienst hätte man einen sicheren Job, sind in den letzten Jahren die Löhne im Vergleich zu anderen Branchen niedrig gehalten worden. Ein Fachangestellter für Bäderbetriebe hat einen Bruttoverdienst von 2.100 Euro, ein Facharbeiter beim Grünflächenamt 2.200 Euro, ein Müllfahrer kommt auf 2.369 Euro. Eine Busfahrerin oder ein Busfahrer fängt mit 1.900 Euro brutto an, junge Kolleginnen und Kollegen bekommen nur Zeitverträge. Offene Stellen werden nicht besetzt, die Arbeitshetze steigt. In den kommunalen Krankenhäusern und Altersheimen ist die Personaldecke völlig unzureichend. In vielen Kommunen werden so genannte "Ein-Euro-Jobber" eingesetzt, die zusätzlich Druck auf die Löhne ausüben, wie bei den Grünflächenämtern oder in der Straßenreinigung.

Gegen die berechtigten Forderungen von Verdi wird auch die hohe Überschuldung der Kommunen ins Feld geführt. Diese hat ihre Ursache in der Umverteilungs- und Steuerpolitik der Bundesregierung, dass beispielsweise die Gewerbesteuer für die Monopole weitgehend weggefallen ist, die Landeszuweisungen an die Kommunen für Hartz IV-Aufwendungen gekürzt werden, und eine ständig wachsende Zinslast für Bankkredite zu tragen ist. So ist davon auszugehen, dass in Essen bis 2015 das gesamte städtische Eigentum den Banken gehört, das sind die städtischen Betriebe, Grundstücke, Gebäude und Straßen.

Die Verschuldung haben die Beschäftigten im öffentlichen Dienst nicht zu verantworten. Sie können aus dem mutigen Kampf der Werktätigen in Griechenland lernen, die sich nicht durch eine drohende Staatspleite von ihrem berechtigten Kampf abbringen lassen. Bei jedem Arbeitskampf im öffentlichen Dienst heißt es auch, damit würde die Masse der Bevölkerung getroffen. Aber ein Streik, der keine Wirkung zeigt, wäre völlig sinnlos. Die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst brauchen Verständnis für ihren Kampf und unsere praktische Solidarität.