International
"Arbeitnehmerfreizügigkeit" á la Finanzkapital
10.03.12 - Per Anweisung an die Bundesanstalt für Arbeit (BA) hat die Bundesregierung jetzt Einschränkungen beim Bezug von Arbeitslosengeld II gegen Kolleginnen und Kollegen aus 17 EU-Ländern des Europäischen Fürsorgeabkommens von 1953 (EFA) verfügt. Das richtet sich gegen Bürger aus Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Dänemark, Irland, Großbritannien, Griechenland, Polen, Spanien, Schweden, Estland, Malta, der Türkei, Island und Norwegen. Entgegen bisherigem Recht sollen sie die ersten drei Monate ihres Aufenthalts kein Arbeitslosengeld II mehr erhalten und anschließend auch nur, wenn sie in diesen drei Monaten in Deutschland gearbeitet haben.
Begründet wird dieser Schritt formaljuristisch mit der Gleichstellung aller EU-Bürger, die nach Deutschland zuwandern. Regierungssprecher Steffen Seifert erklärte gar, die Regierung wolle die Akzeptanz der Freizügigkeit damit erhalten. Treffender dürfte es der Sprecher von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, Jens Flosdorff, formuliert haben: "Willkommenskultur bedeutet nicht die Einladung zur Einwanderung in die Sozialsysteme." Was hier nahegelegt wird, hat mit der Realität nichts zu tun: Es gibt so gut wie nicht den Fall, dass jemand aus einem EU-Land nach Deutschland kommt und sofort Hartz IV beantragt.
Noch vor nicht ganz einem Jahr ließ das Arbeitsministerium verlauten: "Seit dem 1. Mai haben Arbeitnehmer aus acht neuen EU-Mitgliedstaaten umfassenden Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen geht von gut 100.000 Menschen pro Jahr aus: ganz überwiegend junge, gebildete und mobile Fachkräfte." Die "Arbeitnehmerfreizügigkeit" á la Finanzkapital erwünscht durchaus Zuwanderung, um den hoch entwickelten Produktionsapparat stets mit billigen und - auf Kosten anderer Länder - gut ausgebildeten Arbeitskräften am Laufen zu halten. Die Krisenlasten allerdings, unter anderem die Massenarbeitslosigkeit, werden auf die Werktätigen abgewälzt.
Es ist kein Zufall, dass die Regierungsanweisung gerade in der Woche kommt, in der über die sogenannte "Griechenlandhilfe" mit der Erpressung von umfassendem Sozialabbau beschlossen wird, unter anderem die Senkung der Mindestlöhne um 22 Prozent, bei unter 25-Jährigen um 32 Prozent, für diese auf dann 510 Euro. Gerade im Süden Europas, vor allem in Griechenland, Spanien und Portugal, sind die Folgen der Politik des internationalen Finanzkapitals äußerst gravierend: Die Jugendarbeitslosigkeit (bis 25 Jahre) zum Beispiel stieg in Spanien von 19,7 (2005) auf jetzt 51,4 Prozent, in Griechenland von 26 auf 43 Prozent und in Portugal von 19,8 auf etwa 27 Prozent. Viele Jugendliche sind dabei sehr gut ausgebildet!
Der Paritätische Wohlfahrtsverband erklärte, die Bundesregierung rechne offenbar mit Armutswanderungen in Europa infolge der von ihr durchgesetzten Krisendiktate. Tatsächlich ist absehbar, dass als weitere Folge der Weltwirtschaftskrise eine verstärkte Wanderungsbewegung auch in der EU einsetzen wird, wie sie überall auf der Welt zu beobachten ist. Schon im ersten Halbjahr 2011 kamen aus Griechenland 84 Prozent mehr Einwanderer als im ersten Halbjahr 2010, aus Spanien 49 Prozent mehr.
Mit der Weckung und Bedienung von Vorbehalten soll Spaltung betrieben und von den wahren Verursachern für die Krise abgelenkt werden. Dagegen gilt es, den internationalen Zusammenhalt und Erfahrungsaustausch zu organisieren. Dass der Zusammenschluss möglich und erfolgreich sein kann, zeigte der europaweite Kampf gegen die Bolkestein-Richtlinie im Frühjahr 2006. Heute kommt es darauf an, die "Sparpakete", "Rettungsschirme" und "Hilfsprogramme" im Interesse des internationalen Finanzkapitals international vereint zu bekämpfen.