Betrieb und Gewerkschaft
Warnstreikwelle im Öffentlichen Dienst: "Wir können auch anders!"
07.03.12 - Heute war ein neuer Höhepunkt der Warnstreik-Aktivitäten im öffentlichen Dienst. Gestreikt wurde in den großen Städten nicht nur für einige Stunden, sondern in der Regel 24 Stunden lang. "Weit über 30.000 Menschen streiken, und es werden stündlich mehr", berichtete der Sprecher von Verdi NRW, Günter Isemeyer, heute Vormittag. Bestreikt wurden die Nahverkehrsbetriebe, Kindertagesstätten, kommunale Krankenhäuser, Altenheime sowie andere Einrichtungen der Kommunen und des Bundes. Größere Protestkundgebungen gab es in Bochum, Dortmund und Köln. In Bochum wurde eine Solidaritätserklärung der Opel-Kollegen mit großem Beifall aufgenommen. Die angeblich "genervten" Berufspendler zeigten mehrheitlich großes Verständnis und Sympathie für die Streikenden.
In Baden-Württemberg beteiligten sich landesweit ebenfalls rund 10.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes an Warnstreikaktionen. In Stuttgart blieben nach Angaben der Stadt 85 Prozent aller städtischen Tageseinrichtungen für Kinder geschlossen. Auch in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg legten Beschäftigte des öffentlichen Dienstes heute die Arbeit nieder. Am Donnerstag soll in Bayern, Hessen, Niedersachsen und Brandenburg gestreikt werden. Am Montag rollte die Warnstreikwelle bereits über Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland und am Dienstag wurde in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gestreikt (siehe Kurzmeldung).
Oft standen vor allem die städtischen Arbeiter der Müllabfuhr oder Nahverkehrsbetriebe bei den Demonstrationen und Kundgebungen vorne dran. Auffällig ist auch, wie sich die Streikaktivitäten eng mit politischen Themen sowie den Kämpfen und Protesten in anderen Ländern verbinden. In Anspielung auf den unersättlichen Ex-Bundespräsidenten wurde immer wieder unter anderem ein "Ehrensold für Krankenschwestern" gefordert. In Stuttgart stand heute auf einem Schild von Frauen aus dem Klinikum: "Wir zahlen nicht für Banken und Spekulanten - Wir kämpfen wie die Griechen!"
Ein Korrespondent berichtet weiter: "In Stuttgart zogen mehr als 5.000 Streikende aus verschiedenen Ämtern und Kitas mit vielen Transparenten selbst gemachten Schildern durch die Innenstadt - darunter auch Kollegen kirchlicher Einrichtungen. 'IGM und Verdi gemeinsam für mehr Lohn und Gehalt auf die Straße', hieß es auch vom Podium.Beide Redner forderten die unbefristete Übernahme aller Azubis. Viele Azubis waren auch bei der Demonstration, ihre Sprecherin rief den Kollegen voll Stolz auf die gemeinsame Aktion von Jung und Alt zu: 'Unser heutiger Streik ist lediglich ein Warnstreik. Wir sind auch bereit, unbefristet zu streiken.'
Viele brachten auch mit dem Button 'Schlecker-Belegschaftsunterstützer/in' ihre Solidarität mit den von Massenentlassung bedrohten Beschäftigten von Schlecker zum Ausdruck. Morgen, am Internationalen Frauentag, führen die Kolleginnen der Filialen der Stuttgarter Innenstadt ab 11 Uhr auf dem Stuttgarter Schlossplatz eine öffentliche Betriebsversammlung durch - sicher wird es dort auch um den weiteren Weg im Kampf um jeden Arbeitsplatz bei Schlecker gehen."
Massiv wird nun vom Verband der "kommunalen Arbeitgeber" gehetzt, die Forderungen von Verdi (6,5 Prozent, mindestens aber 200 Euro mehr Lohn und Gehalt) seien "nicht annähernd erfüllbar" und die Warnstreiks seien eine "Provokation". Eine Provokation ist in Wirklichkeit die Weigerung der Vertreter von Bund und Kommunen, bei den Verhandlungen bisher irgendein Angebot vorzulegen.
Warum die Forderungen alles andere als "maßlos" sind, machte bei der Kundgebung in Hamburg gestern eine
Kollegin vom Deutschen Hydrographischen Institut deutlich, die auch Mitglied der
Tarifkommission ist: "Unsere Lohnforderung ist nicht überzogen, sondern
wohlüberlegt. Wir haben es satt, dass viele von uns inzwischen eine
Nebentätigkeit machen müssen, um unsere Kosten zu bezahlen. Bei den
Mieten in Hamburg reicht unser Lohn schon längst nicht mehr!" (Mehr dazu auch im "rf-news"-Artikel vom 4.3.12)
Weiter heißt es in dem Bericht aus Hamburg: "Gestern versammelten sich um 8.30 Uhr ca. 1.000 Kollegen des öffentlichen Dienstes bei strahlendem Wetter vor dem DGB-Haus in Hamburg. Von weitem waren zig Müllwagen - große und kleine - zu sehen, die in langer Schlange mit gelben Warn- und Rundumlicht am Straßenrand von den streikenden Kollegen der Stadtreinigung geparkt waren. Ein Kollege der Stadtreinigung sagte drastisch: 'Wie ich heute morgen schon in der Kantine gesagt habe. Wir lassen uns nicht vera... ! Wenn der Senat nicht endlich ein ordentliches Angebot vorlegt, können wir auch anders!'"
Dass mehrere Tarifrunden (im öffentlichen Dienst sowie der Metall- und Chemieindustrie) gleichzeitig statt finden, ist eine hervorragende Gelegenheit, die gewerkschaftliche Kampfkraft zu bündeln und die Regierung unter Druck zu setzen (siehe Korrespondenz aus Frankfurt/Main zur Metalltarifrunde). Es ist zu begrüßen, dass Verdi jetzt auch Warnstreiks bei der Telekom angekündigt hat, nachdem die Konzernführung mit der Begründung der "angespannten wirtschaftlichen Lage" in der laufenden Tarifrunde überhaupt kein Angebot machen will. Auch die Telekom-Beschäftigten fordern 6,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt.
Die jetzt schon sehr ausgedehnten Warnstreiks im öffentlichen Dienst sind eine gute Übung für Urabstimmung und den vollen Einsatz der gewerkschaftlichen Kampfkraft, die nun vorbereitet werden müssen.