Betrieb und Gewerkschaft
Acht Millionen schuften für Niedriglöhne - ein Argument mehr für offensiven Kampf um höhere Löhne!
16.03.12 - Acht Millionen Menschen in Deutschland müssen für weniger als 9,15 Euro brutto pro Stunde arbeiten. Nach einer Untersuchung des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen (IAQ) betrifft das etwa 23 Prozent aller Beschäftigten. Als Niedriglöhner gilt, wer weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns von 15,25 Euro verdient. Dabei liegen die Durchschnittslöhne im Niedriglohnsektor noch deutlich darunter. Im Westen liegen sie bei 6,68 Euro, im Osten bei 6,52 Euro. Das Bundesarbeitsministerium beeilte sich zu versichern, es gebe "keine Dramatik". Schon 2003 seien 21 Prozent Geringverdiener gewesen, den Zuwachs habe es vor allem in den Jahren vor 2007 gegeben. Als ob damit das Problem weniger gravierend wäre: Die Zahl der Beschäftigten ist seit 2003 insgesamt um 3 Millionen gewachsen, und gleichzeitig ist die Zahl der Niedriglöhner um 1,4 Millionen gestiegen!
Frauen sind von Niedriglöhnen doppelt so häufig wie Männer betroffen. Fast alle Beschäftigten mit einem Minijob auf 400-Euro-Basis müssen für Niedrigstlöhne arbeiten. Stark betroffen sind auch "unter 25-Jährige, befristet Beschäftigte, Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung sowie Ausländer", führt die Untersuchung aus. Die große Mehrheit der knapp acht Millionen Betroffenen hat einen Beruf erlernt. 80 Prozent der Frauen im Niedriglohnsektor haben z.B. eine abgeschlossene Berufsausbildung. Etwa die Hälfte der niedrig bezahlten Beschäftigten hat sogar eine Vollzeitstelle. Fast 800.000 von ihnen erhalten weniger 1.000 Euro brutto im Monat.
Deshalb müssen heute über 2,5 Millionen Beschäftigte einen Zweitjob annehmen, im Jahr 2003 waren es "nur" 1,2 Millionen. 1,3 Millionen Menschen benötigen trotz Arbeit heute die "Aufstockung" durch Hartz IV. Die Zunahme "arbeitender Armer" ist der hauptsächliche Effekt der Hartz-Gesetze, der sich vor dem Hintergrund der Folgen der seit 2008 anhaltenden Weltwirtschafts- und -finanzkrise drastisch verschärft hat. Und sie ist die Folge einer drastisch gesteigerten Arbeitshetze, verbunden mit Mobbing und Erpressungen in Fabriken, Büros und öffentlichen Einrichtungen.
Die Veröffentlichung der Studie hat die Debatte über einen flächendeckenden Mindestlohn wieder verstärkt aufflammen lassen. Der Präsident des Sozialverband Deutschland (SoVD) Adolf Bauer unterstrich, "... wie notwendig ein für alle Beschäftigten geltender Mindestlohn ist". Die IAQ-Forscher wollen für alle Branchen und Beschäftigtengruppen 8,50 Euro brutto als Mindestlohn. Davon kann man keine Familie ernähren. Mindestens 10 Euro pro Stunde sind dringend notwendig, und zwar für alle!
Die Entwicklung unterstreicht einmal mehr, wie wichtig offensiv geführte Tarifrunden und gegebenenfalls auch selbständige Kämpfe um Lohnnachschlag sind. Das ist von grundlegendem Interesse des Existenzniveaus der ganzen Arbeiterklasse.
Geradezu frech ist vor dem Hintergrund die Behauptung des Verbandes der Kommunalen Arbeitgeber, sie käme mit ihrem mickrigem Angebot von 3,3 Prozent mehr Lohn und Gehalt für zwei Jahre im Öffentlichen Dienst den Forderungen von Verdi entgegen. Das wären 1,65 Prozent pro Jahr!? Unverschämt beschimpfte der Verband der Metall- und Elektroindustrie (VME) die Tarifforderung von 6,5 Prozent, dass sie "nicht zur aktuellen wirtschaftlichen Lage" passe. Wann passt sie den Herren dann? Seit 17 Jahren sind die durchschnittlichen Reallöhne in Deutschland gesunken. Die Fortsetzung der Spirale nach unten würde perspektivisch ein gewaltiges Armenheer von Alten und Rentnern ansteigen lassen.
Das ist auch das geeignete Thema auf den nächsten Montagsdemonstrationen! Dort haben Kumpel aus dem Bergbau, Beschäftigte im Öffentlichen Dienst, Schlecker-Frauen und Belegschaften aus anderen Branchen zusammen mit Arbeitslosen eine geeignete Plattform für den gegenseitigen Austausch und die Unterstützung ihrer Kämpfe um Lohn und Arbeitsplätze. Der offensive Kampf um höhere Löhne und Gehälter passt voll in die aktuelle Landschaft.