Umwelt
Notabschaltung des Schweizer AKW Beznau - Massenwiderstand im indischen Koodankulam hält an
25.03.12 - Wegen eines "technischen Problems" wurde ein Reaktorblock des Schweizer Atomkraftwerks Beznau nahe der deutschen Grenze am Freitagabend "präventiv" abgeschaltet. Das nur 30 Kilometer von Zürich entfernte gegenwärtig älteste in Betrieb stehende AKW der Welt soll nun repariert werden. Während die Betreiberfirma Axpo behauptet, eine "Gefahr für die Bevölkerung" habe nicht bestanden, warnen AKW-Gegner schon seit langem vor Rissen im Reaktormantel und einer mangelhaften Notstromversorgung des AKW. Am 11. März, dem Fukushima-Jahrestag, hatten zuletzt rund 8.000 Demonstranten die sofortige Schließung der zwei ältesten Schweizer Atomkraftwerke Beznau und Mühleberg gefordert. Im letzten Jahr hatte der Schweizer Nationalrat auf Druck der weltweiten Proteste gegen die Fukushima-Katastrophe zwar den "Ausstieg" aus der Atomkraft beschlossen, allerdings erst bis zum Jahr 2029.
Das Beispiel Beznau unterstreicht, dass sich die Anti-AKW-Bewegung mit solchen halbherzigen Zugeständnissen auf keinen Fall zufrieden geben kann. Das erfahren gegenwärtig auch die Menschen im indischen Bundesstaat Tamil Nadu in der Region um den geplanten AKW-Komplex Koodankulam. Sie leisten seit 1988 Widerstand gegen die damals von den Regierungen Indiens und der bürokratisch-kapitalistischen Sowjetunion geschlossenen Verträge zum Bau der Atomanlage mit zwei Reaktorblöcken.
Im Oktober 2011 nahmen die Proteste den Charakter eines aktiven Volkswiderstands an. Tausende Menschen aus der Region, die meisten davon Fischer und ihre Familien, beteiligten sich an Demonstrationen, Fastenaktionen sowie monatelangen Blockaden der Zufahrten und der Baustelle. Sie verhinderten, dass Wissenschaftler und Arbeiter in das AKW gelangen konnten, nur eine Notbelegschaft fand Einlass. Der Plan, mit der Atomanlage Ende 2011 ans Netz zu gehen, war nicht mehr zu halten.
Auch die Küstenregion an der Südspitze Indiens war im Dezember 2004 von dem verheerenden Tsunami im Indischen Ozean betroffen. Aufgrund der Atomkatastrophe in Fukushima vom März 2011, die ebenfalls durch ein Erdbeben und einen Tsunami ausgelöst wurde, wuchs die Entschlossenheit der Anwohner, dieses Projekt zu verhindern. Sundari Pentapush, 35-jährige Frau eines Fischers und Aktivistin des "Peoples’ Movement Against Nuclear Energy" (PMANE), führt dazu in einem Interview mit der indischen Zeitung "Tehelka" aus:
"Wir sahen im Fernsehen, was in Fukushima geschah. Wir wollten nicht, dass das gleiche in Koodankulam passiert. ... Wir sind besorgt um unsere Kinder. ... Das Atomkraftwerk ist eine Bedrohung für unser Leben und das unserer Kinder. Deshalb kämpfen wir gegen unseren gemeinsamen Feind. Und wir werden so lange kämpfen, bis wir sterben."
Während die Landesregierung von Tamil Nadu sich zunächst gegen das AKW und die Pläne der indischen Zentralregierung ausgesprochen hatte, hat sie - trotz zahlreicher Verhandlungen mit den AKW-Gegnern - nun beschlossen, die Bauarbeiten wieder aufzunehmen. Rund 7.000 Menschen versammelten sich daraufhin seit dem 19. März in Idinthakarai, dem Zentrum der Widerstandsbewegung. 15 Aktivistinnen und Aktivisten traten in einen unbefristeten Hungerstreik.
Gleichzeitig wurden 6.000 Polizeikräfte, unter anderem von der Spezialeinheit "Rapid Action Force", um das Dorf zusammengezogen. Sie sperrten alle Zufahrtstraßen, konfiszierten Handys, stoppten Wasser- und Lebensmittellieferungen sowie die Elektrizitätsleitungen nach Idinthakarai. 300 Arbeiter wurden unter Polizeischutz in das AKW eskortiert. Mindestens 200 AKW-Gegner wurden festgenommen. Zehn von ihnen drohen lange Haftstrafen, da sie beschuldigt werden, sich "terroristisch" betätigt zu haben.
Sundari Pentapush erklärt im Interview vom 23. März weiter: "Wir kämpfen für unsere demokratischen Rechte, unsere Anliegen sind legitim. Wir sind nie gewalttätig geworden und haben nie öffentliches Eigentum zerstört. ... Aber was macht die Regierung? Sie haben unsere Leute verhaftet einschließlich unseres Gemeindepfarrers. Sie haben die Belieferung mit Strom, Wasser und Milch unterbrochen und den Busverkehr. Sie wollen uns erdrosseln. Aber wir werden unseren Kampf fortsetzen."
Sowohl die Ereignisse in Indien als auch in der Schweiz zeigen, wie wenig man faulen Kompromissen oder Teilzugeständnissen der Herrschenden in der Atompolitik vertrauen kann. Sie nutzen dies nur skrupellos aus, um diese Politik mit allen Tricks und Mitteln weiter zu führen trotz der verheerenden Folgen, die das hat. Dagegen richtet sich die internationale Kampagne von ICOR und ILPS für die weltweite Stilllegung aller Atomanlagen und die Beendigung der Nutzung der Atomenergie (hier das Manifest und die Unterschriftensammlung dazu).
Die weltweite Anti-AKW- und Umweltbewegung ist auch herausgefordert, die Solidarität und den Protest gegen die Unterdrückung des Widerstands in Tamil Nadu zu organisieren. AKW-Gegner in Deutschland wie die "Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg" oder das Informationsnetzwerk "contrAtom" haben den indischen Aktivisten sofort die Unterstützung zugesichert und sich mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit gewandt (mehr dazu hier und hier).
Hier die Adresse des PMANE: Peoples’ Movement Against Nuclear Energy (PMANE), Idinthakarai 627104, Tirunelveli District, Tamil Nadu, India, koodankulam@yahoo.com. Weitere Informationen (in englischer Sprache) gibt es auf der Facebook-Seite und dem Blog des PMANE.