Betrieb und Gewerkschaft

Zweite Streikwelle im öffentlichen Dienst hat Rückenwind aus der Bevölkerung

21.03.12 - Heute wird die Warnstreikwelle in der Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes in Berlin und Nordrhein-Westfalen fortgesetzt. Die Stadt Duisburg war am Vormittag vollkommen dicht. Etliche der über 30 angereisten Busse und zahlreiche Autos kamen gar nicht mehr in den Innenstadtbereich zu einer der vier großen Kundgebungen von Verdi in NRW. Stolz, Kampfbereitschaft und Witz herrschte auf dem Duisburger Burgplatz unter den laut Ver.di rund 18.000 Versammelten. Viel Beifall bekam ein Transparent von Erzieherinnen, das BHs mit der Aufschrift "Eine Erzieherin ist wie ein Dessous - Spitzenqualität für ein Hauch von Nichts" zeigte.

Die zweite Warnstreikwelle von Verdi in dieser Woche brachte jetzt schon mehr Arbeiter und Angestellte im Öffentlichen Dienst auf die Straße, als die erste vor zwei Wochen. Ein Korrespondent aus Nürnberg gibt eine ähnliche Stimmung von gestern wieder:

"Es versammelten sich 8.500 aus Nürnberg, weiteren Städten Frankens und der Oberpfalz vor dem Gewerkschaftshaus am Kornmarkt in Nürnberg, um der Gegenseite eine erste gebührende Antwort zu geben auf deren provokantes Angebot von mickrigen 3,3 Prozent mehr Lohn, allerdings über zwei Jahre gerechnet, also gerade mal 1,77 Prozent in diesem Jahr. Bekanntlich ist die berechtigte Forderung von Verdi 6,5 Prozent und mindestens 200 Euro mehr mit der Laufzeit des Tarifvertrags für ein Jahr.

Der Bezirksvorstand von Verdi Mittelfranken erwartete in öffentlichen Verlautbarungen 7.000 Teilnehmer. Dass es deutlich mehr wurden, zeigt die große Wut der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst über den jahrelangen Reallohnabbau einerseits und das unverschämte Schmarotzertum, welches im Zusammenhang mit dem Abgang Wulffs und seinem sogenannten Ehrensold von fast 200.000 Euro im Jahr auf den Tisch kam. Die Zahl von 8.500 und die kämpferische Stimmung widerspiegeln eine hohe Kampfbereitschaft, nicht nur für Warnstreiks, sondern für einen wirkungsvollen, flächendeckenden Vollstreik."

Es ist unverschämt, wenn in vielen Massenmedien so getan wird, als seien die Kinder und Familien (wegen geschlossener Kindergärten), die Kranken und alten Menschen (wegen der Einstellung des Tagesbetriebs an Krankenhäusern und Pflegeheimen) die Haushalte (wegen Ausfall der Müllabfuhren), die leidtragenden Betroffenen der Arbeitsniederlegungen. Die Leidtragenden der Arbeits- und Lohnsituation im Öffentlichen Dienst sind doch dessen Beschäftigte und ihre Familien. Sie tragen Sorge für die Abläufe im öffentlichen Alltag und wissen selbst oft nicht, wie sie durch den ständig gesunkenen Reallohn und den Stress im Beruf ihren persönlichen Alltag meistern können. Dazu kommt das drohende Damoklesschwert des Arbeitsplatzverlustes des Ehe- bzw. Lebenspartners, wenn er zum Beispiel bei Schlecker, in der Stahlindustrie oder bei Opel oder im Bergbau usw. arbeitet. 

Eine Kollegin aus Duisburg meinte gegenüber "rf-news": "Jetzt sehen die mal, was wir tagtäglich leisten und unsere Arbeit es ist, die das öffentliche Leben aufrecht erhält. Umso schäbiger ist das Verhalten der Kommunalen Arbeitergeber, die auf unserem Rücken ihren Schuldenberg abtragen wollen. Den haben die doch selbst zu verantworten." Das kann man nur unterstützen, denn die "klammen Kassen" der öffentlichen Haushalte sind die Folge der Dienstleisterrolle des Staates für die internationalen Großbanken und -konzerne. Und deshalb verlaufen die Fronten eindeutig: Staat und Monopole gegen die Masse der Bevölkerung!

Jan Jurczyk, Pressesprecher von Verdi, widerlegt in einem Interview mit der "Roten Fahne" die Behauptung, dass die Streikenden in Konfrontation mit der Bevölkerung stünden: "Gegenwärtig registrieren wir eine breite Zustimmung für die Forderungen der Beschäftigten. ... Dabei ist ganz klar: wir streiken nicht gegen die Bürgerinnen und Bürger."

Ein offensiv geführter Lohnkampf der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst ist auch eine gute Steilvorlage für die Metaller, deren Tarifrunde Ende des Monats beginnt und deren Vorbereitung in den Betrieben auf Hochtouren läuft. Gestern legten rund 7.000 Daimler-Beschäftigte der Frühschicht in Sindelfingen für etwa eine Dreiviertel Stunde die Arbeit nieder und versammelten sich zu einem Warnstreik am Werkstor. Angesichts riesiger Profite haben verschiedene Autokonzerne durch Sonderprämien versucht, die Kampffront der Metall-Beschäftigten in der Tarifrunde zu spalten.

Die Arbeiter brauchen aber vor allem dauerhafte Lohnerhöhungen als tariflicher Bestandteil, statt sich vom Auf und Ab des einzelnen Betriebes abhängig zu machen. Einen "fairen Lohn", wie ihn viele rechte Gewerkschaftsführer lautstark in ihren Reden fordern, kann es aber im Kapitalismus nicht geben. Wie auch, es gibt ja auch keine "faire Ausbeutung"!

Deshalb kann sich die Arbeiterklasse auch nicht damit zufrieden geben, immer wieder Angriffe auf ihre Existenzgrundlage abzuwehren. Die MLPD tritt dafür ein, den offensiven Lohnkampf mit der Perspektive des Sturzes der kapitalistischen Gesellschaft und dem Kampf für den echten Sozialismus zu verbinden. Dort gilt das Verteilungsprinzip "Jeder nach seinen Fähigkeit, jedem seiner Leistung".  

"Offensiv gegen Lohnraub und Arbeitsplatzvernichtung", so lautet die Titelzeile der morgen erscheinenden Ausgabe der "Roten Fahne".