Betrieb und Gewerkschaft
Tarifkompromiss im öffentlichen Dienst - jetzt sind die Verdi-Mitglieder gefragt
31.03.12 - Nachdem Freitagabend in den Verhandlungen zwischen Verdi und den Vertretern des öffentlichen Dienstes ein Kompromiss eingegangen wurde, um den Tarifkampf zu beenden, stimmte am frühen Samstagmorgen auch die große Tarifkommission von Verdi nach siebenstündiger Auseinandersetzung mit knapper Mehrheit zu. Bevor der Tarifvertrag von Verdi endgültig unterschrieben wird, findet - wie Frank Bsirke mitteilte - "traditionsgemäß" eine Mitgliederbefragung statt. Angesichts der knappen Entscheidung in der Tarifkommission wird es mit Sicherheit heftige und gründliche Auseinandersetzungen um das Ergebnis geben.
Löhne und Gehälter sollen rückwirkend zum 1. März um 3,5 Prozent angehoben werden. Weitere Tarifanhebungen erfolgen zum Januar und August 2013 um jeweils 1,4 Prozent. Die Laufzeit des Tarifvertrages endet am 28. Februar 2014. Der von Ver.di geforderte Pauschalbetrag von 200 Euro für die unteren Lohngruppen wurde nicht vereinbart. Auszubildende sollen nach einem Jahr so genannter "Bewährungszeit" unbefristet übernommen werden. Neueingestellte bekommen künftig einheitlich 29 Tage Urlaub pro Jahr. Erst ab 55 gibt es jetzt 30 Tage. Für bisher schon Beschäftigte gilt eine Besitzstandsklausel. Das Bundesarbeitsgericht hatte kürzlich die Lebensalter-Staffel beim Urlaub für nichtig erklärt, weil Jüngere damit gegenüber Älteren mit längeren Ansprüchen diskriminiert würden.
Weit über 200.000 Kolleginnen und Kollegen hatten mit wirkungsvollen Warnstreiks gezeigt, welche Kraft in den über zwei Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes steckt. Mehrfach wurde der Nahverkehr in Ballungsgebieten völlig lahmgelegt. Mit dem Bestreiken aller großen internationalen Flughäfen in Deutschland zeigten die Flughafen-Beschäftigten, wie schnell sie die für die internationalen Monopole so wichtigen Drehscheiben der internationalen Produktion lahmlegen können. Ein unbefristeter Streik im öffentlichen Dienst, der die internationalen Transportwege blockiert, trifft die Monopole angesichts des verschärften Konkurrenzkampfs in der anhaltenden Wirtschafts- und Finanzkrise an einem Lebensnerv.
Entgegen aller Spaltungsversuche in den bürgerlichen Medien erfuhren die Kampfmaßnahmen von Verdi breite Unterstützung in der Bevölkerung, was zusätzlichen Druck auf die angeschlagene Merkel/Rösler-Regierung aufbaute. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich als Verhandlungsführer für den öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen war in dieser Situation gezwungen, seine provokative Haltung aufzugeben und zurück zu rudern. Noch vor Beginn der Warnstreiks hatte er Verdi aufgefordert, erstmal neue Forderungen aufzustellen, die tragbar wären.
Kleinlaut stellt Friedrich jetzt fest: "Mit der Lohnerhöhung haben in dieser Tarifrunde die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes gewonnen. Wir wollen sie auch ordentlich bezahlen." Und der Präsident der Kommunalen Arbeitgeber, Thomas Böhle, sagte, die Kommunen seien angesichts ihrer finanziellen Probleme "bis an ihre Schmerzgrenze" gegangen. Weitere Streiks seien aber vermieden worden. Der Tarifabschluss ist ein Zugeständnis an den kämpferischen Verlauf der Tarifrunde und zielt darauf, auf jeden Fall einen unbefristeten Streik im öffentlichen Dienst zu verhindern. Ein solcher Streik wäre auch ein Signal für die Metaller gewesen, die aktuell in Tarifverhandlungen stehen.
Die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst haben erst mal mit den Muskeln gespielt, ein unbefristeter Streik hätte eine ganz andere Situation geschaffen. Die Lohnerhöhung, die jetzt in den Medien als "kräftige Lohnerhöhung von 6,3 Prozent" verkauft wird, deckt jedoch nicht den Lohnraub durch Monopole und Staat, und bindet der Gewerkschaft mit der zweijährigen Laufzeit die Hände. Die tatsächlichen Lebenshaltungskosten liegen erheblich über der offiziell ausgewiesenen Inflationsrate von 2,3 Prozent. Der Reallohnabbau im öffentlichen Dienst von 8,5 Prozent in den letzten 10 Jahren wird nicht ausgeglichen.
Dass die Auszubildenden nun nach einem Jahr unbefristet übernommen werden, knüpft an dem Kampferfolg in der Stahlindustrie an, und unterstützt die Forderung der IG Metall nach sofortiger, unbefristeter Übernahme nach der Ausbildung. Jedoch besteht mit der einjährigen "Bewährungsfrist" auch die Möglichkeit, eine unbefristete Übernahme zu umgehen.
Innenminister Friedrich äußert nun "Erleichterung", dass eine "Schlichtung vermieden worden" sei. Nicht vor der Schlichtung hatte er Angst, sondern vor einem unbefristeten Vollstreik im öffentlichen Dienst. Eine Schlichtung hätte zusätzlich Öl ins Feuer der wachsenden Kampfbereitschaft gegossen, deshalb soll die Tarifauseinandersetzung nun schnell beendet werden. Verdi hat in den letzten Wochen über 23.000 neue Mitglieder gewonnen. Das zeigt, welche Anziehungskraft die Gewerkschaften haben, wenn sie kämpfen. Nun sind die Mitglieder von Verdi herausgefordert, über einen vollen Einsatz der gewerkschaftlichen Kampfkraft zu beraten und den Kampf fortzuführen. Der Solidarität in der Bevölkerung können sie sicher sein.