Betrieb und Gewerkschaft
Kämpferische Aktionen im öffentlichen Dienst signalisieren Bereitschaft zum unbefristeten Streik
27.03.12 - Heute weitete die Gewerkschaft Verdi ihre Warnstreiks auf alle großen deutschen Flughäfen aus. Teilweise bereits ab Mitternacht wurden die Flughäfen Frankfurt/Main, Berlin-Schönefeld und -Tegel, Düsseldorf, Köln-Bonn, München, Stuttgart, Bremen und Hannover bestreikt, mehrere hundert Flüge fielen aus. Gestreikt wurde heute aber auch wieder in zahlreichen Betrieben des öffentlichen Dienstes in Hamburg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland.
Bereits am Montag beteiligten sich insgesamt 34.000 Arbeiter und Angestellte des Bundes sowie der Kommunen in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern an bis zu 24-stündigen Warnstreiks. Aus Stuttgart berichtet ein Korrespondent: "Nach einer Demonstration durch die Innenstadt versammelten sich am 26. März rund 12.500 Angestellte und Beamte von Bund und Kommunen auf dem Marktplatz. Aus vielen Teilen Baden-Württemberg waren die Demonstrationsteilnehmer angereist, unter ihnen auch Beschäftigte der Diakonie, die sich mit der Losung 'Gott streikt mit uns' über ihr Streikverbot hinwegsetzten."
Wenig erfreut über die Ausweitung der Warnstreiks zeigte sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Er beklagte die "unangemessene Reaktion" und versuchte Stimmung gegen die Streikenden zu schüren: "Da wir ein substanzielles Angebot gemacht haben, ist es ungerechtfertigt, die Bevölkerung jetzt mit diesen Streiks zu malträtieren." Das "substanzielle Angebot" von 3,3 Prozent für zwei Jahre ist jedoch lächerlich und "malträtiert" fühlt sich in erster Linie die Regierung durch die Streiks. Auffällig ist eher ein hohes Maß an Sympathie und Solidarität aus der Bevölkerung. Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske lehnte zurecht das bisherige Angebot ab: "3,3 Prozent sind selbst für 12 Monate zu wenig, geschweige denn für 24."
Sogar nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes sind die Reallöhne 2011 wegen der hohen Inflation weiter gesunken. Auch wenn man nur die offizielle Inflationsrate von 2,3 Prozent im letzten Jahr in Rechnung stellt, wurden die nominalen Lohnerhöhungen davon komplett aufgefressen. Die Masse der Arbeiter und Angestellten ist aber von höheren Preissteigerungen betroffen, da bei ihnen die Ausgaben für Mieten, Energie- und Spritkosten sowie Lebensmittel viel stärker ins Gewicht fallen als im "Warenkorb" des Statistischen Bundesamts.
Verdi fordert 6,5 Prozent Lohnerhöhung für die bundesweit zwei Millionen Beschäftigten der Kommunen und die 140.000 Tarifbeschäftigten des Bundes, sowie zur Stärkung der unteren Lohngruppen einen Mindestbetrag von 200 Euro. Auszubildende sollen monatlich 100 Euro mehr bekommen und die Garantie einer unbefristeten Übernahme nach dem Ende ihrer Ausbildung.
Für ein Scheitern der Tarifgespräche in dieser Woche stellte Verdi-Chef Bsirske in Stuttgart unbefristete Streiks in Aussicht. Großer Beifall bestätigte, dass er den Nerv der Demonstranten getroffen hatte. Ein unbefristeter Streik im öffentlichen Dienst wäre ein deutliches Signal für die Kollegen in der Metallindustrie, bei den Banken und der Telekom, die ebenfalls in Tarifauseinandersetzungen stehen. Auch in der Metallindustrie gibt es trotz "Friedenspflicht" erste Demonstrationen und Warnstreikaktionen (siehe Bericht aus Ludwigsburg). Eine IG-BAU-Gewerkschafterin aus Dresden besuchte eine Warnstreikaktion am 22. März:
"Zur Demo selbst waren rund 6.500 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes aus ganz Sachsen gekommen, 500 Beschäftigte der Sparkassen Dresden und Umgebung schlossen sich ganz spontan mit einem zweiten Zug in der Innenstadt an. Die Stimmung unter den Demonstranten war gut und kämpferisch. Ich wünsche den Verdi-Kollegen, dass es zum flächendeckenden Streik kommt, denn ihre Forderungen sind gerecht. Das wäre auch für ganz Deutschland eine Signalwirkung und könnte viele Tarifrunden, die ja jetzt im Gange sind, beeinflussen."
In diesem Sinne wurde gestern in Stuttgart auch die aktuelle "Rote Fahne" mit dem Titel "Offensiv gegen Lohnraub und Arbeitsplatzvernichtung" verkauft und Unterschriften für die "Dortmunder Erklärung" gesammelt. Eine Korrespondentin berichtet über ihre Erfahrungen: "Die Erklärung wurde interessiert und gründlich gelesen. Vor allem der Gedanke, für die aufgestellten Forderungen die ganze gewerkschaftliche Kampfkraft einzusetzen und gemeinsam mit den Metallern zu kämpfen, stieß auf Zustimmung. Schnell kam man zur Kritik am ganzen kapitalistischen System und dass deshalb in den Gewerkschaften offen über die Alternative des echten Sozialismus diskutiert werden muss."
Auch der internationale Zusammenhang zu den Massenkämpfen in ganz Europa war ein wichtiges Thema. Eine junge Uni-Beschäftigte aus Athen zerpflückte in ihrer Rede auf der Kundgebung die verschiedenen Spaltungsmythen gegen "die Griechen". Sie rief: "Wir retten uns gerade vor unseren 'Rettern'. Wir wollen kein Geld aus dem 'Rettungsfonds'. Die beste Unterstützung für uns ist, wenn ihr in Deutschland ebenfalls gegen diese Politik kämpft. Wir müssen europaweit gemeinsam gegen das internationale Kapital kämpfen."