Politik
Verstärkte Sanktionen und üble Stimmungsmache gegen Hartz-IV-Betroffene
12.04.12 - Die Arbeitsagenturen haben 2011 so viele Sanktionen wie noch nie gegen Hartz-IV-Betroffene verhängt. Gegenüber 2010 ist ihre Zahl von 829.375 auf 912.377 gestiegen. Die Bild-Zeitung hetzte sofort: "Hartz-IV-Sauerei! Noch nie wurde so viel geschummelt und getrickst!" und: "Stoppt die Drückeberger!" Der Paritätische Wohlfahrtsverband warf der «Bild»-Zeitung zu Recht Stimmungsmache vor: "Hier wird ohne jede empirische (auf Fakten beruhende) Grundlage auf unverantwortliche Art und Weise gegen Millionen Menschen gehetzt und ein Bild der schmarotzenden Massen geschürt, das mit der Realität nichts zu tun hat", kritisiert der Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider.
Tatsächlich gingen nämlich laut Bundesanstalt für Arbeit (BA) die 'Missbrauchsfälle' zwischen 2010 und 2011 von 177.500 auf 127.500 zurück. Lediglich sogenannte 'Meldeversäuminsse' stiegen von 498.774 auf 582.253 Fälle an. Zu den sogenannten 'Meldeversäumnissen' wird u.a. auch gezählt, wenn Langzeitarbeitslose beim "Hessischen Sklavenmarkt" zu wenig Bewerbungsmappen dabei haben. Annnähernd gleich geblieben sind die Fälle, in denen Arbeitslose sich angeblich zu selten bewarben oder einen Job ablehnten bzw. eine Schulungsmaßnahme unterbrachen. Im Durchschnitt wurden die Leistungen durch Sanktionen um 116 Euro monatlich gekürzt - das sind fast 30% der Einkünfte der Betroffenen.
2011 wurden an Hartz-IV-Betroffene mehr Vorladungen zu Stellenangeboten verschickt. Bei Terminversäumnissen wird automatisch die Leistung gekürzt. Dabei wird aber oft gar keine Rücksicht darauf genommen, welche Gründe zu den Meldungs-Versäumnissen führten. Häufig werden Termine auch willkürlich so gelegt, dass sie kaum einzuhalten sind. Mütter werden z.B. innerhalb zweier Tage zu Seminaren geschickt, ohne die Kinderbetreuung zu organisieren. Termine werden oft für den Tag der Zustellung mit der Post anberaumt, so daß sie kaum einzuhalten sind. Diese bürokratische Gängelung wird von der BA damit umschrieben, dass die "Automatisierung in den Job-Centern perfekter geworden ist".
Gegen jede zehnte Sanktion wurde im Jahre 2010 Widerspruch eingelegt, davon hatten 38% Erfolg. Darüber hinaus gingen weit mehr als 150.000 Klagen z.B. am Berliner Sozialgericht ein. 55% davon wurden von den betroffenen Arbeitslosen gewonnen. Dabei scheuen sich die meisten Betroffenen, überhaupt etwas gegen die ausgesprochenen Sanktionen zu unternehmen, weil sie sich gegenüber Ämtern hilflos fühlen. Viele nehmen unrechtmäßige Sanktionsbescheide auch aus Unkenntnis hin.
Besonders oft und hart betroffen sind junge Arbeitslose bis 24 Jahre. Mehr als elf Prozent von ihnen wurden sanktioniert, bei den älteren waren es "nur" 4,5 Prozent. Weigert sich ein 24-Jähriger, einen Ein-Euro-Job anzunehmen, wird ihm die Regelleistung sofort komplett gestrichen. Bei einer weiteren "Pflichtverletzung" werden auch die Wohnkosten nicht mehr übernommen. Das kritisiert die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe scharf: "Wir beobachten, dass mehr unter 25-Jährige in den letzten Jahren obdachlos geworden sind. Das liegt auch daran, dass ihnen die Leistungen für Unterkunft und Heizung vom Jobcenter gestrichen werden", sagte Verena Rossenke, stellvertretende Geschäftsführerin der BAG. Sie fordert zu Recht die Abschaffung des Sanktionssystems.
Die reaktionären Hartz-Gesetze sind insgesamt nicht zu akzeptieren. Sie müssen weg - ohne Wenn und Aber. Dafür setzt sich die Montagsdemobewegung seit acht Jahren unermüdlich ein. Notwendig ist die unbegrenzte Fortzahlung des Arbeitslosengeldes für die Dauer der gesamten Arbeitslosigkeit, die Erhöhung der Sozialunterstützung sowie ein Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde.